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„Kimberly"
Foto: David Baltzer

Der mordende Avatar

22. Dezember 2015

David Schalko inszeniert sein Computerspiel „Kimberly" selbst – Theater am Rhein 01/16

And the shame / was on the other side. Doch diese andere Seite gibt es leider gar nicht. Oder sie ist noch nicht programmiert worden. Den Österreichischen Autor und Regisseur David Schalko jedenfalls interessiert in seinem Stück „Kimberly" nur die leere digitale Surface vor der Mauer. Blutleere Avatare bevölkern die Welt und sie werden vom imaginären Puppet-Master gelenkt, Dinge zu tun und Dinge zu sagen, ihren Sinn aber nie reflektieren zu können. So wandeln sie durch ein interessantes Sehnsuchtsland des Autors, immer auf der Suche nach Sinn und einer Möglichkeit, auch selbst etwas zu kreieren, die einzige Ausnahme ist die grandiose Sabine Orléans als am Leben irre gewordene Mutter.

Kimberly (Yvon Jansen) ist als eine psychopathische Mörderin programmiert worden, die wegen der Liebe einer Psychologin (Sabine Waibel) zu ihr aus der Anstalt entlassen wurde und nun in der Provinz untertauchen will. Ambitionslos, emotionslos, perspektivlos, aber schlau. Ins aufgespannte Netz geht der Dorfpoet Konrad (Yuri Englert), der seine Frau (Annika Schilling) ins Gipsbett verunfallt hat und ständig mit Vorwürfen und mit seiner Schwester (Franziska Hackl) um Gott und die schnöde Welt kämpfen muss. Der Fürsorge überdrüssig, allen Geschichten beraubt, ist Konrad natürlich das (frei)willige Opfer der männermordenden Mantis religiosa, doch wird er tatsächlich die Antwort auf die zentrale Frage werden: Gibt es Liebe ohne Mord? Schnell wird klar: Heilung sieht anders aus. Schalko inszeniert seine „Kimberly" als nettes Singspiel, mit knalligen Kostümen und einem Chor aus den Seelen der Ermordeten, die als Stimmen im Kopf der Psychopathin herum und über die Bühne geistern. Das hat allen Drive, das macht Spaß zu Schauen und wird auch nie langweilig. Doch wie bei einem Computerspiel wartet man darauf, dass es irgendwie losgeht mit richtig haarsträubenden Verwicklungen zwischen Trockeneis-Table und Trompeten-Freakshow. Bernard-Marie Koltès' Roberto Zucco hätte in dieser Szenerie sicher schnell und zu Recht (ups) kurzen Prozess gemacht. Denn motivlos ist Kimberly sicher auch, ohne Aussicht auf Heilung ist es nur der persönliche Vorteil, der sie in einer Welt ohne wahre Liebe antreibt, und das wird für David Schalko als Regisseur unglaublich wichtig, ja übermächtig, und so trotten die Figuren umher, auch wenn sie rennen oder tanzen, sie trotten ohne Richtung oder Ziel durch eine Geschichte im Irgendwo, die einst eine wahre Geschichte im Hier und Jetzt gewesen sein soll: Zwei Liebhaber endeten da fein zerlegt im Gemäuer eines Eissalons.

Na also, da sage mal einer, es gäbe keine zeitlosen Handlungen mehr oder die Geschichte sei der Mensch, oder sollten wirklich alle Über-Ichs im Internet verschwunden sein? Big Dislike. Die Stimmen in Kimberlys Kopf (Yvonne Forster, Agneta Olivia Hanappi, Susann Sinnemann), ein großer Chor mit Widerhall. Nach der Pause ist die Mauer weg, die Handlung spitzt sich auf die Frage: Wird sie Konrad oder lässt sich Konrad, oder gewinnt doch die Internet-Liebe? Eine Antwort liefert das Singspiel mit der großartigen Musik und den Songs vom live mitspielenden Norweger Kyrre Kvam nicht. Dafür wird die Mauer, das schützende Gebilde vor der Provinz wieder aufgebaut, doch wen schützt sie eigentlich und wer schützt uns im Internet? Peter Ortmann

„Kimberly" | R: David Schalko | Sa 2.1., Mi 6.1., Fr 15.1. 19.30 Uhr, So 24.1. 16 Uhr | Schauspiel Köln Depot1 | 0221 22 12 84 00

Peter Ortmann

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