Grelles Licht, leere Flure, doppelte Zimmer, Schrecken ohne Folterkammer. Ein totes Szenario war 2007 bei Gregor Schneiders „Weiße Folter“ im K21 in Düsseldorf zu sehen. Schon das war weit entfernt von seinem in jahrzehntelanger Arbeit umgebauten Elternhaus „Totes Haus u r“ in Rheydt, für dessen Versetzung nach Venedig er 2001 den Goldenen Löwen erhielt. Jetzt präsentiert der Künstler in der Kölner Halle Kalk sein neues Projekt „Neuerburgstraße 21“ (mein Navi kennt nur 20 oder 22). Wieder Räume ohne Träume, halluzinogene Visualität? Einsamkeit ist zumindest wieder eingefordert; man betritt den Parcours allein, alle fünf Minuten eine Person. Es gibt ausdrücklich Fluchtwege, aber laut schreien helfe auch. Schon der Entree gehört offensichtlich zum Psychospiel um, tja um was nur?
Dann bin ich dran, die Tür geht auf, vom Tageslicht in den Darkroom eines Künstlers. Ich sehe partout nichts, gar nichts. Also tasten durch filzige Wände, rechts rum, links rum. Ich spüre eine Tür, finde die Klinke, es wird Licht und sanitär. Keine Folterkammer, ein Badezimmer! Geradeaus die Duschkabine, links ein abgebautes Waschbecken. Aus dem WC-Anschluss an der Wand muss noch etwas Brackwasser ausgelaufen sein. Die Dusche tropft hörbar, öffnen lässt sie sich nicht. Also wieder durch die nächste Tür, hinein in den Dark-Tunnel. Die Tür klappt zu. Ein Zurück gibt es nun nicht mehr. Tasten, fühlen, denken. Was kommt? Da ist die Tür, Licht. Erstaunen, das gleiche Bad, die gleiche Dusche, selbst das Brackwasser findet sich. Nein, im Kreis gelaufen bin ich nicht, da bin ich mir sicher. Ach ja? Tür auf, Tür zu dunkler Gang, tasten, Tür auf. Verdammt. Wieder dieses Bad und noch mal und noch mal und noch mal. Die Orientierung ist weg. Die Welt hat sich reduziert auf diesen verdammten gekachelten Sanitärraum. Die Erwartung? Ein Ende? Das Bad wird zur Serie, die Handlung zur seriellen Monotonie. Furcht vor der nächsten Passage gibt es nicht mehr, aber gibt es noch Alternativen? Nein. Im Bad 9 teste ich den Lichtschalter. Er funktioniert natürlich nicht. Aber offensichtlich ist die Steckdose benutzt worden. Da hat man ja einen Blick für. Hat hier etwa mal die alte Hausschlampe Hannelore Reuen (u r 44, Warschau 2000) gewohnt? Nein, dafür ist es zu sauber. Zum Bad 11 ist der dunkle Tunnel länger. Ein Bruch in der Gleichförmigkeit. Der kontrollierte Alptraum wird zum luziden Klartraum. Eigentlich riecht es auch komisch.
Weiter, weiter, die Bäder werden immer mehr. Inzwischen bin ich ein Kenner. Visualisiere alles. Da! Bad 16. Die Fuge zwischen den Bodenfliesen unter dem Lichtschalter ist zu breit. Pfusch in meiner klinischen kleinen Welt! Theaterressourcen werden in einem Maße genutzt, wie es in einem Museumsraum nur schwer möglich gewesen wäre, sagt das Schauspiel Köln. Das ist mir längst egal. Wo bleibt das dramatische Ende? Es ist unspektakulär. Es werde Licht. Es lebe das Chaos. Der Irrweg durch Werkstätten und Umkleidekabinen ist offensichtlich falsch, obwohl Pfeile den Pfad bezeichnen. Letzter Ausgang: Fluchtweg.
„Neuerburgstraße 21“ | bis 6.7., wieder ab 23.8. | Halle Kalk | 0221 221 284 00
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