„Speakers‘ Corner“ ist eigentlich eine Ecke im Hyde Park in London, die für alle Mitteilungsfreudigen freigegeben ist. Alles was bewegt, was man mal loswerden will, kann hier an die Zuhörer gebracht werden. Das Kulturdeck am Aachener Weiher wurde jetzt zum ersten „Speakers‘ Corner“ in Köln – wenn auch nur für einen Nachmittag. Organisiert wurde die Veranstaltung von der noch jungen Initiative DiEM25, die sich für mehr Demokratie in Europa einsetzt – als Antwort auf nationale Abschottung, auf Finanzkrisen, auf die Instrumentalisierung von Flüchtlingen. Eine klare Struktur ist innerhalb der Bewegung zwar noch nicht so richtig gewachsen. Es gründen sich aber im Moment viele regionale Gruppen, in denen Möglichkeiten des Engagements besprochen werden.
Eine sehr früh entstandene Aktion ist „Köln spricht!“, das die Diskussion und den Austausch über politische Themen fördern soll. Vielleicht auch wegen des Aufrufs über soziale Medien kamen vor allem junge Menschen, die sich teilweise vorher bereits zu Redebeiträgen gemeldet hatten.
Auffallend war die große Bandbreite der Themen, die von den Vortragenden angeschnitten wurde. Einige zählten zunächst Dinge auf, die in unserer Gesellschaft aus ihrer Sicht falsch laufen. Initiator Fabio erzählte, wie er selbst kritisch wurde gegenüber Konsum. Massentierhaltung, industrielle Landwirtschaft, Freihandelsabkommen und die Folgen der Rüstungsexporte waren einige der weiteren Themen. Teilweise wurden diese in Form von Reden, aber auch künstlerisch als Poetry Slam oder musikalisch umgesetzt.
Daneben waren am Aachener Weiher auch sehr persönliche Vorträge zu erleben. So verknüpfte ein Redner seinen Weg zur Selbstfindung stark mit seinem wachsenden politischen Interesse. Eine Teilnehmerin, die gerade eine Trennung überwindet, erzählte von ihrer Situation und räumte dabei auch religiösen Motiven viel Platz ein. Große Aufmerksamkeit bekam auch ein junger Mann, der sich als „Aids-Kritiker“ bezeichnete. Obwohl die vorgetragenen Ausschnitte aus wissenschaftlichen und medizinischen Arbeiten zur Krankheit Aids sicherlich einige Widersprüche provozierten, wurden diese leider nicht auf der Bühne ausdiskutiert. Obwohl zu Gegenmeinungen aufgerufen wurde, wird sich eine Kultur der regen Diskussion vielleicht erst mit der Zeit einstellen. Bemerkenswert war allerdings auch das Engagement des Vortragenden selbst für die freie Rede. Er wendete sich vor allem dagegen, durch ein Label wie das des „Aids-Leugners“ in eine Ecke gestellt zu werden, aus der er so einfach nicht mehr heraus findet. Seine Forderung, Fragen stellen zu dürfen, und sein Mut, sich überhaupt offen zu äußern, wurden denn auch vom Publikum mit Beifall bedacht.
Das Ziel, Diskussionen zu fördern, wurde von dieser ersten Veranstaltung sicher erreicht, wenn diese auch eher im kleineren Kreis stattfanden. Dazu trug auch die Musik bei, die zwischen den Beiträgen Zeit zum Austausch der Argumente ließ. Köln spricht! soll nun zu einem regelmäßigen Termin werden. Die nächste Möglichkeit zur freien Rede soll es am Pfingstmontag geben.
Nächster Termin Köln spricht!: 16.5.
DiEM25-Initiative und Online-Petition: www.diem25.org
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