Für etwa 80 Minuten lässt der Pantomime Peter Mim am Freitag die Stummfilm-Ikone Charlie Chaplin auf der kleinen Bühne des Theaters im Bauturm wieder auferstehen. Kein einfaches Unterfangen, denn Chaplin war ein Meister des komödiantischen Slapstick. Auch wenn Mim dessen Watschelgang, Mimik und Gestik mit unglaublicher Präzision beherrscht, gelingt sein Experiment nur teilweise: Mit dem dünnen Spazierstock, der passenden Kleidung und nur wenigen Requisiten wie ein paar Hüten und einem Esstisch wirkt er gerade zu Beginn seiner Vorführung etwas vereinsamt. Unterlegt mit der originalen Filmmusik spielt er die berühmtesten Szenen aus „Moderne Zeiten“, „The Kid“, „Der große Diktator“ und „Lichter der Großstadt“ nach. Allerdings fehlen ihm zunächst die Mitspieler, mit denen er interagieren kann. Auch ein Charlie Chaplin brauchte diese Gegenparts gelegentlich.
So ist eine Partyszene aus dem Film „Lichter der Großstadt“ kaum wiederzuerkennen, denn Mim spielt gleich mit mehreren, unsichtbaren Charakteren zusammen und ahmt Aktionen nach, denen man kaum folgen kann. Auch die Fabrikszene aus „Modern Times“ wirkt nicht besonders überzeugend. Der Film lebte doch nicht nur von Chaplins Performance und der Geschichte, sondern auch von den maschinellen Kulissen. Diese muteten schon damals fast wie Science Fiction an und drohten den Menschen aufzufressen. Mim ist dagegen nur mit zwei Schraubenschlüsseln bewaffnet, und es dürfte selbst dem phantasievollsten Zuschauer schwer fallen, sich die beeindruckende Kulisse dazu zu denken.
Erst als Mim seine Interpretation des Films „Der Zirkus“ zur Schau stellt und Chaplins Tramp zum Dompteur werden lässt, der verzweifelt versucht einen Löwen durch einen Reifen springen zu lassen, kommt richtig Leben auf die Bühne. Hier nutzt er ausreichend Requisiten und auch Soundeffekte, um die Zirkusszene vor dem inneren Auge des Zuschauers entstehen zu lassen. Er verschwindet hin und wieder hinter einer weißen Leinenwand und kommt nach einem ohrenbetäubenden Löwen-Gebrüll wieder mit zitternden Beinen hervor.
Als Mim in Reminiszenz auf „Goldrausch“ akribisch ein Dinner für einen Damenbesuch vorbereitet, der vorerst nicht kommen soll, wird die Tragik des Tramps in seiner Performance deutlich. Trotz aller Widrigkeiten wie Armut und Einsamkeit, verliert er jedoch niemals seine Würde. Mim zieht sich kurzerhand eine Zuschauerin auf die Bühne und verspeist mit ihr zusammen einen Schuh (natürlich nur eine Requisite). Das Publikum findet sich sofort in das stumme Spiel aus Mimik und Gestik ein. Gerade in diesem Zusammenwirken wird Mims Vorführung noch einmal mit Leben gefüllt. Sein Chaplin macht der Zuschauerin nach dem erfolgreichen Date direkt einen Heiratsantrag und präsentiert seinen Plan, eine Familie zu gründen.
Szenen aus „Der große Diktator“ dürfen nicht fehlen. Mim spart sich den berühmten Tanz mit dem Globus und bemalt stattdessen einen großen Lufballon mit Karten und Segelschiffen, die eher einen zweifelhaften Maßstab abbilden. Für die Barbierszene holt er sich diesmal einen männlichen Zuschauer auf die Bühne, schmiert ihm echten Rasierschaum um den Mund und turnt mit aberwitzigen Verrenkungen um ihn herum, während er ihn rasiert.
Das ist zwar sehr lustig und spaßig, jedoch wirkt diese Szenen-Collage etwas willkürlich zusammengewürfelt, denn Chaplin war mehr als die Summe seiner besten Slapstick-Momente: Nicht nur Schauspieler, Regisseur und Produzent, der sein eigenes Filmstudio aus dem Boden stampfte, sondern ein gesellschaftskritischer Geschichtenerzähler, der sich gegen soziale Ungerechtigkeiten und gegen Hitler-Sympathisanten in der amerikanischen Gesellschaft auflehnte. Alles zu einer Zeit, in der J. Edgar Hoover nur zu gern Jagd auf regierungskritische Hollywoodstars machte. Vielleicht ist es unfair, das alles von Mims Performance zu verlangen, aber gerade durch die Willkürlichkeit der Szenenabfolge kann dieser wichtige Aspekt etwas verloren gehen. Ein roter Faden in seiner Performance hätte vielleicht helfen können.
Einen rührenden Moment hebt sich Mim jedoch noch für das Finale auf: Er setzt sich hinter die weiße Leinwand und nur sein Schatten ist noch zu erkennen. Er wäscht sich die Schminke vom Gesicht und nimmt sich die Perücke ab. Danach kommt er wieder hinter der Leinwand hervor und baut Schuhe, Hut und Spazierstock liebevoll zu einem Altar auf der Bühne auf. Kniend und respektvoll legt er zwei Rosen darauf nieder. Auch wenn seine Performance durchwachsen ist, zeugen solche Momente von echter Liebe und Bewunderung für Charlie Chaplin und seinem unvergesslichen Alter Ego, dem Tramp.
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