Die Frau will nicht. Über Monate war sie gefangen, nun will ihr Peiniger sie entlassen. In die Freiheit. Sie ist entsetzt, klammert sich an ihn („Ich bin nichts“). Also üben die beiden den Gang ins Café, sitzen auf Stühlen, bestellen etwas. Dann geht die Frau – um sofort wieder zurückzukehren. Stockholmsyndrom? Natascha Kampusch light?
Arne Lygres Stück „Tage unter“, eine deutsch-französische Koproduktion, ist ein funkelnder Bedeutungsgenerator. Freiheit und Gefangenschaft, Paar-Beziehung, Täter-Opfer, positive Gewalt, Identität – alles wird in dem an Jon Fosse und Samuel Beckett erinnernden Text durchgespielt, ohne dass er überfrachtet wirkt.
Im Zentrum steht der „Besitzer“, der sich dem Terror zum Guten verschrieben hat. Er steckt eigenmächtig Drogensüchtige in einen Bunker, bis sie clean sind, und entlässt sie dann. Udo Samel spielt ihn als sinnlichen Rousseauist, immer auf der Grenzlinie zum Gutmenschenwahn. Gemeinsam mit seinem ersten Opfer, der entlassungsbereiten „Frau“ (Claudia Hübbecker) schwärmt er im „Weißt du noch“-Modus; ein einträchtiges Paar, das im Bunker das nächste Opfer, das „Mädchen“ (Bettina Kerl), beobachtet. Es sind Figuren ohne Eigenname in schwarzer Kleidung. Identitätslose, die vor einer bühnenbreiten, grauen Steinmauer agieren, in die eine Eisentür mit Zahlencode und eine trichterförmige kleine Bühne eingelassen sind. Regisseur Stéphane Braunschweig lässt geschickt mit den Ambivalenzen des Stücks aufblitzen zwischen Rollenspiel, Identitätsturbulenz und Geschichtslosigkeit.
Die Situation verschärft sich, wenn der dritte Gefangene, Peter (Daniel Christensen), im blauen Pullover, dazukommt – mit Eigenname. Die Frau ist inzwischen weg, der Besitzer tot. Nun sitzen das Mädchen und Peter in der Falle, weil keiner den Türcode kennt. Beide kurven durch eine emotionale Achterbahn, schreien sich an, versöhnen sich, bis Peter das Mädchen einfach umbringt. Als dann die Frau zurückkehrt, macht er eine frühere Drohung des Besitzers wahr: Um dem allerersten Opfer den Code abzupressen, schneidet er ihr die Finger mit der Gartenschere nacheinander ab – mit dieser Märchenanspielung findet Lygres Parabel ihr grandioses Ende. Verstörendes Stück, wunderbare Schauspieler – sehenswert!
„Tage unter“ | R: Stéphane Braunschweig | Düsseldorfer Schauspielhaus | 2./7./22.3, 19.30 Uhr | 0211 36 99 11 | www.duesseldorfer-schauspielhaus.de
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