„Ich habe Angst, in Köln Rad zu fahren. Ich fahre nur im Urlaub Fahrrad“, so das Geständnis unserer Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die am Samstag auch an der Radkomm, dem Forum für Radverkehr, teilnehmen wird. Die Stadt zeigte sich jüngst nicht unbedingt bereit für eine gemeinsame Entwicklung der urbanen Verkehrswende. Wir sprachen mit Carolin Ohlwein und Christoph Schmidt vom Kölner ADFC Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e.V.
Frau Ohlwein, Sie sind auch beim Aktionsbündnis RingFrei aktiv. Die haben nun die Zusammenarbeit mit der Stadt Köln aufgekündigt. Ziel war unter anderem, die Radweg-Nutzungspflicht aufzuheben. Bedeutet das nun ein trauriges Kapitulieren für fahrradfreundlichere Kölner Ringe?
Carolin Ohlwein: Alles was bisher geschehen ist, jedes Meeting wurde erst auf Druck von uns einberufen. Jedes Protokoll mussten wir einfordern. Wir haben einfach die Energie dafür nicht mehr. Wir erwarten von der Stadt, dass sie anfängt zu arbeiten. Dass die Dinge, die im Zehn-Punkte-Plan stehen und auch politisch beschlossen wurden, umgesetzt werden. Es gibt den 10-Punkte-Plan, der auch die Aufhebung der Radwegbenutzungspflicht auf den Ringen beinhaltet, und eine exklusive Fahrspur für Fahrräder. Die Radwegbenutzungspflicht wird aufgehoben – ob dies auf den ganzen Ringen so stattfinden wird, wissen wir nicht.
Der Punkt ist aber, es ist eine gesetzliche Sache. 1997 gab es eine Reform der Straßenverkehrsordnung, und in der steht, dass bis zum Oktober 1998 alle Radwege überprüft werden müssen, ob eine Radwegbenutzungspflicht überhaupt rechtens ist. Und dem ist nur so, wenn eine besondere Gefahr besteht, wie extrem viel Schwerlastverkehr oder eine Regelgeschwindigkeit von 70 oder 100 km/h. Erst dann darf ein blaues Schild aufgestellt werden. Die Ringe sind eine ganz normale Stadtstraße, da gibt es keine besondere Gefährdung. Daher stehen die Schilder zur Radwegbenutzungspflicht dort seit zwanzig Jahren illegal. Das scheinbar großzügige Angebot, dass man sie jetzt abbauen wird, ist einfach nur eine Umsetzung des Gesetzes. Mehr nicht. Alle anderen Punkte werden gar nicht mit der Stadt diskutiert, man verweigert sich da. Es geht überhaupt nicht darum, ein attraktives Angebot zu schaffen, dass Menschen sich denken: Hier kann man toll Fahrrad fahren.
Im Hinblick auf das Ergebnis der Landtagswahlen, können wir unter Schwarz-Gelb mit Änderungen rechnen?
Christoph Schmidt: Die Wahlprogramme dieser beiden Parteien haben sich über das Thema Fahrrad weitestgehend ausgeschwiegen. Dementsprechend ist für uns nicht klar, was sie in diese Richtung tun werden. Im Wahlkampf hat es sehr oft geheißen, dass die Radschnellwegförderung so nicht weitergeführt werden, sondern eher auf die Instandsetzung von bestehenden Radwegen gesetzt werden soll. Radschnellwege wurden als ideologische, grüne Projekte bezeichnet.
Wir sind als ADFC gar nicht parteigebunden, wir sehen die Radschnellwege – ganz im Gegenteil – als ein ganz unideologisches Instrument, um mehr Menschen weg vom Auto und mehr aufs Fahrrad zu locken. Nicht weil ich entscheiden möchte, wer welche Verkehrsmittel nutzen soll, sondern um mehr Wahlfreiheiten zu geben. Heutzutage gibt es die Premium-Infrastruktur fürs Automobil – das bleibt unbemerkt, weil alles vollgestaut ist – fürs Fahrrad habe ich genau das nicht. Die Radwege in Köln sind Stückwerke: Hier ein Stückchen Radweg, hier ein Stückchen nutzungspflichtiger Radweg, dann wieder ein Fahrbahnabschnitt mit oder ohne Schutzstreifen. Und dort wo es kritisch werden kann, an einer komplexen Kreuzung, fällt die Radfahrinfrastruktur oft ganz weg. Und dieses Stückwerk ist etwas, was extrem stressig für den Radfahrer ist. Und deswegen sagen viele: In der Stadt Köln trau ich mich gar nicht zu fahren. Damit haben sie gar keine Wahlfreiheit. Diese Wahlfreiheit möchte ich wieder haben. Dass der Verzicht aufs Rad nicht dadurch entsteht, weil die Angst zu groß ist, von einem Auto bedrängt zu werden. Und da ist der Radschnellweg eine Möglichkeit, weitestgehend kreuzungsfrei eine längere Distanz überwinden zu können.
Auch wenn die Kölner Radfahrprojekte nur theoretisch zu existieren scheinen, ist das Land NRW beim Thema Radschnellwege immerhin bereits bundesweit Vorreiter... Aussicht auf Hoffnung?
Schmidt: Ja, ich erhoffe ich mir schon, dass diese Vorteile in der neuen Landesregierung erkannt und fortgeführt werden. Nehmen wir mal das Premiumprojekt wie den Radschnellweg, der im Ruhrgebiet gebaut und über hundert Kilometer lang sein wird: Das ist auch ein Prestige-Image-Projekt für das Ruhrgebiet. Das haben aber auch die beiden neuen Koalitionspartner schon erkannt. In Köln sind wir ein wenig hinten dran: Wir bekommen 8,4 Kilometer nach Hürth. Und davon verlaufen fünfzig Prozent über ganz normale Straßen. Die werden zwar dann Fahrradstraße genannt, aber da findet ganz normal der Durchgangsverkehr statt. Das ist keine Radschnellweg-Qualität.
Neben Radschnellwegen können Protected Bike Lanes zum sicheren Fahrradfahren verhelfen, letztes Jahr habt ihr so eine temporär am Hansaring geschaffen, wie ist die Entwicklung seither?
Schmidt: Es hat sich folgendes entwickelt: nichts. Wir haben eine gewisse Aufmerksamkeit bekommen, teilweise bei der Politik, viel von den Medien und der Bevölkerung. Von der Verwaltungsseite sieht es aber so aus, als ob es nicht stattgefunden hätte. Man beharrt auf der Zweispurigkeit für den Autoverkehr, es ist sogar so, dass in Pressemitteilungen die Umsetzung des Hansarings als gelungen bezeichnet wird. Und unsere Befürchtung ist, dass das, was am Hansaring gemacht wird, auf den gesamten Ring ausgeweitet wird. Bedeutet: eine überbreite Kfz-Spur, also ein Fahrstreifen, der aber als zweispurige Straße benutzt wird.
Die ganzen Radfahrunfälle und Verunglückten, die müssten doch Konsequenzen haben?
Schmidt: Es gibt Unfälle, die sogar durch Falschparker begünstigt werden. Man kann bis in die Kreuzung hinein parken, es gibt es sehr sehr viele Situationen, bei denen Radfahrer entweder Baustellen oder Falschparkern ausweichen müssen. Und dabei vom Auto angefahren werden. Bei den Abbiegeunfällen ist es auch oft so, dass der Autofahrer eine schlechte Sicht hat und trotzdem abbiegt.
Ohlwein: Obwohl es so hohe Unfallzahlen gibt, passiert einfach viel zu wenig. Die Schuld wird häufig beim Radfahrer gesucht. Eigentlich würden wir uns als Verband wünschen, dass Abstandskontrollen gemacht werden, dass die Polizei tatsächlich mal überprüft, ob das Auto einen Mindestabstand von einem Meter fünfzig hält, ob ein Schulterblick gemacht wird. Und vor allem Lkw-Kontrollen, dass geprüft wird, ob die Spiegel alle richtig eingestellt sind. Kann der Radfahrer überhaupt wahrgenommen werden. Wenn ein Lkw-Fahrer nach einem Unfall behauptet, der Radfahrer sei im toten Winkel gewesen, wird diese Aussage gar nicht groß hinterfragt. Wie kann das sein?
Schmidt: Wir müssen unbedingt umdenken. Wir müssen eine Infrastruktur bauen, bei der ich selbst sagen kann: Es ist in Ordnung, dass mein Kind diese Strecke alleine mit dem Fahrrad zur Schule fährt. Aber auch, dass Pendler gut mit dem Rad diese und jene Strecke absolvieren können. Dass es attraktiv wird, sich mit dem Fahrrad fortzubewegen.
Klingt utopisch…
Schmidt: Seit ich Radverkehrsarbeit mache – und das sind einige Jahre – habe ich kein Radverkehrsprojekt in Köln erlebt, bei dem ich sagen würde: Wow, richtig gute Sache.
Wie ist die aktuelle Gefühlslage also?
Ohlwein: Wir sind momentan in einer Zwischensituation, das Radverkehrskonzept ist erstellt, und weil bisher davon noch nichts gemacht wurde, heißt es für uns: warten. Selbst die Sofortmaßnahmen sind keine Sofortmaßnahmen, sondern Irgendwannmaßnahmen. Es gibt nichts Existentes.
Um den Anteil des Radverkehrs zu erhöhen, hat die Stadt auch den Aspekt des Fahrradparkens berücksichtigt und im ersten Quartal 500 zusätzliche Abstellmöglichkeiten geschaffen, davon ist noch nicht richtig viel bemerkbar, oder?
Schmidt: Damit sind „Haarnadeln“ gemeint und da wird jede einzelne gezählt, in einem Stadtgebiet verschwinden sie natürlich.
Ohlwein: Unglaublich viele stehen hinten am Bahnhof, am Breslauer Platz, da gibt es wirklich ein Bataillon an Fahrradabstellmöglichkeiten.
Schmidt: Es mangelt dennoch an Fahrradparkmöglichkeiten. Und da ist wieder die Denkweise, dass in jeder Straße, an jeder verfügbaren Fläche, ein Autoparkplatz entsteht. Wenn ich als Fahrradfahrer einen Fahrradparkplatz haben will, muss ich ihn beantragen. Das dauert etwa zwei Jahre. Daran ist erkennbar, wie hoch der Bedarf ist. Mein letzter Antrag läuft seit eineinhalb Jahren. Wenn wir diese Denkweise mal auf alle Fahrzeuge umlenken würden, wenn alle Parkplätze in der Stadt abgeschafft werden würden. Die Vorstellung, dass jeder Autobesitzer erst einmal einen Antrag zur Unterbringung beantragen müsste, das würde als völlig absurd empfunden werden.
Ohlwein: In Kopenhagen hat man in den 50er Jahren als Stadt beschlossen: wir wollen fußgängerfreundlich werden. Sie wussten überhaupt nicht, wie sie das machen sollen. Einer der ersten Punkte war: Wir schaffen pro Jahr drei Prozent der Parkplätze ab. Und das machen sie bis heute so. Und deswegen ist Kopenhagen eine der fahrradfreundlichsten Städte. Wir haben diesen Antrag mit zwei Prozent pro Jahr für Köln gestellt. Abgelehnt.
Schmidt: … es sei eine „Pauschalisierung“. So bleiben wir eben leider eine autogerechte Stadt.
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