Fast 40 Jahre ist es her, dass Joseph Beuys auf der documenta 7 seine Soziale Plastik „7000 Eichen“ präsentierte. Doch statt Bäume waren es zunächst 7000 Basaltsteine, die der Künstler auf dem Kasseler Friedrichsplatz aufgeschüttet hatte. Gegen eine Geldspende hatten Ausstellungsbesucher die Möglichkeit, sich selbst am Werksprozess zu beteiligen. Jeder Spender durfte einen Stein des Berges abtragen, an dessen Stelle dann eine Eiche im Stadtgebiet eingepflanzt werden würde. Unter dem Motto „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ ging es dem Aktionskünstler darum, nicht nur auf die zunehmende Verdrängung von Grünflächen aus dem urbanen Raum aufmerksam zu machen, sondern aktiv dagegen vorzugehen.
Im Jubiläumsjahr des Künstlers haucht der Obdachlosenhilfeverein „Kunst hilft geben“ dieser Vision durch eine Benefizaktion neues Leben ein. „Es ist an der Zeit, sich an Beuys zu erinnern und in der Pandemie positive Zeichen auszusenden“, so Initiator Dirk Kästel.
„100 Jahre Joseph Beuys – 100 Eichen für Köln“
Am 12. April wurde der erste von 100 Benefizbäumen im Beisein des Kölner Sozialdezernenten Dr. Harald Rau auf einer öffentlichen Grünfläche symbolisch eingepflanzt. Seitdem kann die sechs Meter hohe Jungeiche an der Kreuzung der Inneren Kanalstraße und Subbelrather Straße in Köln Neustadt-Nord besucht werden. Mit der Baumspende des WDR-Fernsehgärtners Rüdiger Ramme nahm die Benefizaktion ihren Anfang. Durch die zusätzliche Unterstützung des Künstlers Oliver Jordan dauerte es nicht lange bis alle 100 Bäume einen Paten gefunden hatten – die 50 Euro-Spende für eine Patenschaft kommt Obdachlosen und Bedürftigen zugute.
Die Paten erhalten zunächst eine Urkunde sowie im Nachgang noch ein Foto und ein Video der Pflanzung. Außerdem können sie einen signierten und nummerierten Kunstdruck von Oliver Jordan erwerben, der nicht nur Porträtist von Joseph Beuys, sondern auch sein ehemaliger Schüler gewesen ist. Die Eichen werden nach und nach entweder in Privatgärten gepflanzt, wo sich die Paten um das Wohl ihrer Bäume kümmern, oder in einem eigens dafür vorgesehenen Kölner Waldstück. Begleitet wird die Aktion von einer Benefizausstellung mit mehr als einem Dutzend Originalwerken von Beuys, die noch bis Ende Juni in der Galerie am Brüsseler Platz besichtigt werden kann.
Vom Erfolg der Aktion zeigte sich selbst Dirk Kästel überwältigt. Inzwischen werden noch weitere Baumpaten gesucht, denn die Benefizaktion wurde auf 130 Eichen ausgeweitet. Was die Zukunft angeht, gibt er sich optimistisch: „Vielleicht geht die Aktion, bis es 150 Eichen für Köln werden. So viele wie Beuys wäre das Maximalziel. Vielleicht schaffen wir es da heranzukommen.“
Auch Beuys hat sich 1986 in Köln verewigt, indem er dort drei Bäume mit drei kleinen Basaltsteinen vor der Kirche St. Gereon in der Innenstadt pflanzte. Die Idee, Kunst in die Mitte der Gesellschaft zu verlagern, um die Grenzen zwischen Kunst und Leben aufzulösen, sollte sich als wiederkehrendes Motiv seines kreativen Schaffens erweisen.
Die Zukunft, die wir wollen
Mit seinem erweiterten Kunstbegriff forderte Beuys eine Kunst, die den Anspruch hat, gestaltend auf die Gesellschaft einzuwirken, und die das Potential besitzt, sie verändern zu können. Als Gründungsmitglied der Grünen ist soziale und ökologische Nachhaltigkeit schon früh ein zentrales Anliegen seines Wirkens, obwohl die Begriffe Klimawandel, Erderwärmung oder CO2-Emission in der öffentlichen Wahrnehmung damals nicht mehr als leise Zwischenrufe darstellten. Doch für ihn stand fest: „Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden. Sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen.“ Seiner Auffassung nach ist jeder Mensch Künstler und damit nicht nur befähigt, sondern sogar verpflichtet, gestalterisch an einer besseren Welt mitzuarbeiten.
Gerade im Angesicht einer zögerlichen Umweltpolitik, die einen Großteil dieser gewaltigen Verantwortung in die Hände der Zivilgesellschaft legt, ist ein solcher Ansatz aktueller denn je. In diesem Sinne ist eine kleine Hommage wie die „100 Eichen für Köln“ gleichzeitig auch eine Erinnerung an die schöpferische Kraft einer Aktionskunst, die uns alle betrifft. Eine Kunst, die nicht nur provozieren, sondern vor allem konstruieren möchte.
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