In Hiltrud Kissels Produktion „Der Ismene-Komplex. Psychose 2011“ soll es nicht um die bekannte Antigone gehen, sondern um deren Schwester Ismene. Während Antigone gegen König Kreon rebelliert, der ihren Bruder Eteokles bestatten lässt, die Beerdigung des anderen Bruders Polyneikes aber bei Todesstrafe verbietet – bleibt Ismene zurückhaltend.
Ismene soll als „Projektion“ dienen, nicht als Figur. Das Ensemble will nach der „ismenischen Haltung“ in uns fragen, nach Vernunft, Menschenwürde und Freiheit. Entsprechend verteilen sich Motive und Sätze von der Antike bis zur Gegenwart auf die Darsteller: So liest Regina Welz einen Brief von Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis, spricht Till Brinkmann einen Text von Joseph Ackermann, hält Ana Bolena Ramirez einen träumerischen Monolog übers Glücklichsein, der vom Sich-Raushalten spricht. Im Vortragsstil ruft das Team Jeremy Rifkin, Alain Ehrenberg und Sloterdijk auf.
Und dann blubbern plötzlich virtuelle Blasen aus der Projektionsfläche im Hintergrund, über dem geschrieben steht: „Du kannst jetzt posten!“ Die Vorstellung ist nämlich zeitgleich online auf Facebook. Das Publikum soll per Handy Nachrichten schicken, und immer wieder wird nach dem neuesten Stand geguckt. Dem Team ist offenkundig wichtig, dass das nicht als Gag aufgefasst wird, sondern – nach Rifkin – mit einem „dramaturgischen Bewusstsein“ zusammenhängt, das die virtuelle mit der realen Welt vernetzt. Ab und zu erscheinen dann auch Szenenüberschriften wie „Die Welt ist aus den Fugen“ oder „Die einen ersaufen, die anderen verdursten“.
Spätestens jetzt, wenn der Bewusstseinshorizont so weit aufreißt, dass man kaum mehr weiß, wo man steht, werden die Probleme des Projektes klar: Ausdrücklich wehren sich die Macher z. B. gegen Romantik als „Form des Nihilismus“, indem Spontispruch-ähnliche Brüche jede Stimmung kippen lassen und das Spiel über weite Strecken anmutet wie eine entspannte Wohnzimmerdiskussion – aber natürlich ist es schon ziemlich romantisch, sich vergeblich daran abzuarbeiten, die ganze Welt in Fragmenten darzustellen.
„Der Ismene-Komplex. Psychose 2011“ | Regie: Hiltrud Kissel | 2.-4.2., 20 Uhr | 0221 52 42 42
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