60 theatralische Blind dates innerhalb von drei Tagen, keins länger als 15 Minuten. So unterhält das Newcomer Festival fünfzehnminuten seit Jahren sein Stammpublikum. Gleichzeitig hat es sich einen Namen als Plattform für den Theater-Nachwuchs gemacht, das aus der Freien Szene nicht wegzudenken ist. Jetzt feiert das fünfzehnminuten-Festival sein 10-jähriges Bestehen. Ein Gespräch mit Studiobühnen-Chef Dietmar Kobboldt.
choices: Herr Kobboldt, 10 Jahre gibt es das fünfzehnminuten-Festival inzwischen – ein Anlass zum Feiern oder zum Klagen?
Dietmar Kobboldt: Wir feiern tatsächlich mit der nächsten Ausgabe ein Jubiläum. Wir haben 2013 die erste Ausgabe vonfünfzehnminutengehabt. Wir sind jetzt zwar im zehnten Jahr, haben aber keine zehn Ausgaben gehabt, weil wir 2021 aufgrund von Corona 2021 pausieren mussten. Wir haben damals versucht, das mit den 5-Minuten-Video-Formaten zu kompensieren, was aber nur bedingt gelungen ist.
Gab‘s ein Vorbild für fünfzehnminuten?
Das Vorbild fürfünfzehnminutenwar das 100 Grad-Festival in Berlin, das es inzwischen nicht mehr gibt. Das war ein total cooler Ort, um neue junge Talente zu entdecken. Wenn allerdings die Produktion nicht so toll war, hat es manchmal ganz schön lange gedauert, bis es vorbei war. Daraufhin haben wir dieses Format „fünfzehnminuten“ erfunden, das wie auch „100 Grad“ nicht kuratiert ist. Wer sich zuerst für einen Slot anmeldet, ist dabei. Allerdings eben mit der Begrenzung, dass nach 15 Minuten das Saallicht angeht und Schluss sein muss.
Die fünfzehnminuten waren immer auch gute Unterhaltung …
Man kann das Festival unter einem künstlerischen Gesichtspunkt betrachten, aber es ist für das Publikum selbstverständlich auch eine Mordsgaudi. Man weiß nie, was auf einen zukommt, jede Produktion ein Blind date und alle 15 Minuten eine kurze Pause – wir mussten immer mal wieder auch Bier nachkaufen.
Wie hat sich das Festival entwickelt oder ist das Konzept so gut, dass man nichts verändern musste?
Wir haben in den drei Tagen 50 bis 60 Slots, die bisher immer innerhalb von zwei Tagen ausgebucht waren, in diesem Jahr zieht es sich etwas. Aber das ist auch im alltäglichen Spielbetrieb so, es gibt weit mehr Spontanbesuche an den Abendkassen als bisher. Was sich grundsätzlich verändert hat: Es gibt weit mehr digitale Formate oder Video-Formate, also all die Formate, die durch die Pandemie und den Lockdown einen Auftrieb erlebt haben.
Sind neue Genres wie Neuer Zirkus oder Physical Theatre dazugekommen?
Interessanterweise nicht. Wir hatten schon bei der ersten Ausgabe mit Overhead Project das Format des Neuen Zirkus dabei, das damals aber noch nicht so genannt wurde. Unser Beitrag damals fürs West-off-Festival, nämlich die Gruppe meat market, war eigentlich auch schon Physical Theatre und bewegte sich an der Grenze zum Tanz. Die Genres waren also schon immer da, haben aber erst heute ihre Labels gefunden.
Was kann man in einem Blind date von 15 Minuten wirklich zeigen?
Das hängt vom Genre ab. Beim Physical Theatre kann man in 15 Minuten schon erkennen, wie die Leute handwerklich drauf sind. Und man kann auch erkennen, ob sie gewillt sind, eine Geschichte zu erzählen oder ob sie eine inhaltliche Idee haben. Aber selbst im Bereich Sprechtheater lässt sich in 15 Minuten erkennen, ob es sich um ausgebildete Schauspieler oder Naturtalente handelt und ob sie wirklich wissen, was sie tun. Und vor allem: Macht es Lust, weiterzuschauen? Ich vergleiche das gerne mit einem Roman von vier- bis fünfhundert Seiten. Wenn er mich nach 50 Seiten nicht gekriegt hat, lege ich ihn beiseite. Wenn er mich gekriegt hat, will ich weiterzulesen. 15 Minuten sind auch die Zeit, die ich auf die KVB warte – wenn bis dahin kein Bus oder keine Bahn kommt, nehme ich ein Taxi. Mit einem Wort: Die Leute müssen mich in irgendeiner Form abholen und begeistern. Sie müssen mich dahin bringen, dass ich sie gerne noch weiter im Haus haben möchte. Verboten ist jede Art der Langeweile. Verboten ist abgegriffener Quatsch. Verboten sind Scherze auf Kosten von Minderheiten. Aus der Erfahrung kann ich sagen, man kann in 15 Minuten ganz schön viel erkennen.
„And the winner is …“: Das fünfzehnminuten-Festival ist eng mit dem west-off-Festival verbunden ...
Eine, manchmal auch zwei Produktionen aus denfünfzehnminutennehmen später als Kölner Beitrag am west-off-Festival teil, das wir gemeinsam mit dem Freien Forum Theater in Düsseldorf und dem Theater im Ballsaal in Bonn veranstalten.
Hat die Studiobühne bei fünfzehnminuten schon Gruppen entdeckt, mit denen sie danach weitergearbeitet hat?
Eine ganze Reihe, teilweise komplette Gruppen, teilweise auch Einzelkünstler. Kimchi Brot ist beispielsweise eine Entdeckung bei fünfzehnminuten gewesen. Das Parasite Ensemble wäre ein weiteres Beispiel. Oder Nikos Konstantakis, der damals bei meat market dabei war, ist nach wie vor eng mit uns verbunden. Und wir werden mit Mira Rosa Plikat, die 2022 der Kölner West-off-Beitrag war, sicherlich auch in Zukunft zusammenarbeiten. Die meisten Gruppen, die teilnehmen, kennen wir aber im Vorfeld noch nicht. Manche stehen am Anfang einer Karriere, manchmal wird daraus auch erst gar keine. Wichtig ist, dass sie dieses Forum nutzen, um einfach mal auf einer Bühne rauszurotzen, was sie zu sagen haben. Ich finde, dass wir eine ziemlich gute Trefferquote an Gruppen und Künstler:innen haben, mit denen wir weitergearbeitet haben. Vielleicht ist es Erfahrung, vielleicht ein innerer Radar. Eine richtige Fehlentscheidung war meiner Meinung nach bisher noch nicht dabei.
Was würden Sie nach 10 Jahren bei fünfzehnminuten gerne mehr erleben?
Mich freut es extrem, wenn Leute es schaffen, mich tatsächlich auch emotional zu berühren. Das ist mittlerweile für mich die größte Leistung, die man in 15 Minuten schaffen kann.
fünfzehnminuten | 19.-21.1.2023 | TanzFaktur | Eintritt frei | 0221 470 45 13
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