Vor dem altehrwürdigen Bahnhof Dahlhausen im Südwesten Bochums fährt die Zukunft vor. Auf Einladung des Vereins ‚PRO Dahhausen e.V.‘ legt die ‚Tour de Ruhr‘, die in der Region größte Veranstaltung zum Thema Elektromobilität, eine Etappenpause ein. Dutzende von Kleinwagen gleiten fast lautlos über das alte Kopfsteinpflaster. Als Fußgänger heißt es aufpassen, zu groß ist die Gefahr, mit einem der elektrischen Smarts oder Citroens zu kollidieren. Wie bei einer klassischen Autoshow drängeln sich die Menschen um die aufgeklappten Motorhauben. Nur sind nicht Vergaser, Motorblöcke, Luftfilter und Auspuffsysteme zu bestaunen, sondern eben Batterien und Elektromotoren. Neben den Fahrzeugen mit drei und vier Rädern zeigen sich auch Zweiräder dem Publikum, vom Pedelec (elektrisch bis 25 km/h) bis zum ausgewachsenen Motorrad.
Eine besondere Attraktion ist der BO-Cruiser, der von Studenten der Hochschule Bochum entwickelt wurde, teilweise in Form von Diplomarbeiten, erklärt Tim Schlinkmann. Der 22-jährige absolvierte parallel zu seinem Studium an der Hochschule Bochum eine Lehre als Elektroniker bei Opel. Mal Azubi, mal Student. Ob er nach Bachelor und Master-Abschluss bei Opel Elektroautos konzipieren darf, steht allerdings in den GM-Sternen. Auf den BO-Cruiser ist er stolz: „Mehr Auto!“ war die Vorgabe seines Professors Friedbert Pautzke. Die Solarmobile der ersten Generation sahen eher aus wie rollende Tischtennisplatten. Der Fahrkomfort litt unter dem Wunsch, allein mit Sonnenkraft zu fahren. Der BO-Cruiser ähnelt einem schicken, schwarzen Sportwagen. 120 km/h ist er schnell. Nachts fährt er mit Akku ca. 300 km weit, bei Sonnenschein flitzt er nach der alten VW-Käfer -Werbung: Er fährt und fährt und fährt - allerdings mit teurer Subvention.
Seit einigen Jahren sind aufgrund einer Konzeptänderung des veranstaltenden Vereins ‚Initiative Solarmobil Ruhrgebiet e.V. (ISOR)‘ auch Fahrzeuge dabei, die nicht mehr direkt mit Solarzellen, sondern mit Strom aus der Steckdose betrieben werden, und damit letztlich auch mit Kohle- und Atomstrom. Mancher hat dabei Bauchschmerzen, aber man will die Neuentwicklungen integrieren, weshalb ein weiterer Verein die Hand ausstreckte und vor Ort präsent ist: ‚ruhrmobil-E‘ vermittelte ebenfalls Fahrzeuge zur Tour und ist mit einem Info-Stand vertreten. Über diese Struktur kommen Wirtschaft und Politik ins Spiel. Man will Groß-Entwicklungen anstoßen und Arbeitsplätze schaffen in der Region. Deshalb sind auch die Stadtwerke Bochum dabei und stellen sechs Ladestationen zur Verfügung, die reibungslos funktionieren.
Bei Sonnenschein flitzt der BO-Cruiser nach der alten VW-Käfer-Werbung: Er fährt und fährt und fährt.
Der Vorsitzende des Vereins PRO Dahlhausen e.V., Joachim Berndt, begrüßt die Gäste und FahrerInnen mit launigen Worten, die „Zukunft Bochums finde für einen Wimpernschlag der Geschichte in Dahlhausen statt“ und erinnert an die Anfänge. der Elektro-Bastler. Mit einem Glückwunsch an alle Teilnehmer der Tour könne man sagen: „Früher Spinner – heute Winner!“. Dieses Motto wird später sogar vom Dortmunder OB Ullrich Sierau aufgegriffen. Joachim Berndt bedankt sich bei allen Aktiven des Vereins und übergibt das Wort an die Bochumer Bürgermeisterin Astrid Platzmann-Scholten, die das Dahlhauser ‚Sonnenfest‘ offiziell eröffnet. Die Stadt Bochum habe mit dem Netzwerk ruhrmobil-E eine wertvolle Grundlage geschaffen, die Elektromobilität in der Region zu etablieren. Der Zusammenschluss aus Politik, Wirtschaft, Privatpersonen und öffentlichen Einrichtungen könne ein Motor für die weitere Entwicklung sein, die man im Rat der Stadt nach Kräften weiter fördere. Aus der Nachbarstadt ist Ullrich Sierau angereist. Der SPD-Oberbürgermeister von Dortmund fungiert als Schirmherr der Veranstaltung. „Ich möchte allerdings Sonnenschirmherr und nicht Regenschirmherr sein“, kommentiert er schlagfertig einige Regentropfen, die zu Beginn der Veranstaltung gefallen sind. Jetzt allerdings, verursacht durch die schönen Worte seiner Vorrednerin von den Grünen, sei wieder Sonne am Himmel, erklärt der Stadtchef charmant. Überhaupt setzt Sierau auf Zusammenschlüsse zwischen den Städten, die gemeinsam Elektroautos entwickeln und wagt einen Blick in die Zukunft. Das Ruhrgebiet, so stehe es im frisch ausgehandelten Koalitionsvertrag der Landesregierung, könne im Jahr 2020 Ausrichter einer Weltausstellung sein. Dann werde ein besonderes Augenmerk auf ökologischer Technologie und eben auch auf der Elektromobilität liegen.
Einen besonderen Leckerbissen bot der Gastgeber, der Verein Pro Dahlhausen e.V., den Pressefotografen und einigen Fahrern: Führung und Foto-Shooting im örtlichen Eisenbahnmuseum. ‚Zero-Emission‘ steht auf dem gelben Flitzer, den das Autohaus Rüschkamp zur Tour de Ruhr schickte und der nun vor einem dampfenden Koloss aus dem Jahr 1918 steht, dessen Tender sieben Tonnen Kohle fasst.
Eine zweite Überraschung war vorbereitet: Zum Schluss des Tour-Stopps werden alle FahrerInnen zu Oberbürgermeister und Bürgermeisterin auf die Bühne gebeten und erhalten eine Sonnenblume, das Symbol der frühen Umweltbewegung.
Weitere Infos und Fotos:
www.isor.de
www.ruhrmobil-e.de
www.pro-dahlhausen.de
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