Die szenische Petitesse könnte aktueller nicht sein. Pinneberg und die schwangere Emma, genannt Lämmchen, suchen eine Wohnung. Was ihnen angeboten wird, sind Bruchbuden zu Wucherpreisen. Sie entscheiden sich schließlich für ein Domizil über einem Handwerksbetrieb, das nur über eine Leiter zu erreichen ist. Hans Falladas Roman „Kleiner Mann – was nun?“ von 1932 schildert den „struggle for life“ einer jungen Familie in der Weltwirtschaftskrise. Er ist ein kleiner Angestellter, sie Mutter und Hausfrau. Die Liebe der beiden gerät in die Hobelbank eines ökonomischen Desasters.
Regisseurin Susanne Schmelcher spielt den Abend mithilfe einer Doppelmetapher durch: Pinnebergs Sehnsuchtsort der einsamen Insel verwandelt sich allmählich in einen Boxring. Ein etwas abgegriffenes Bild für den gesellschaftlichen Infight, nichtsdestotrotz hilfreich für eine eng an den Figuren entwickelte Erzählweise mit kleinem epischem Zierrat wie mitgesprochenen Kapitelnummern. Matthias Zera und Nele Sommer geben ein einträchtiges Paar. Er schwankend zwischen Unterwürfigkeit und Widerstand, sie mit sozialistisch gestähltem Selbstbewusstsein. Mithilfe von Bällen führen sie ihr Haushaltsbuch. Pinneberg joggt auf der Stelle, angetrieben von einem brüllenden Chef. Marc Fischer gibt ihn mit scharfkonturierter Figurencharakteristik und spielt sich in endlosen Verwandlungen – vom berlinernden Strizzi bis zum ziselierten FKK-Liebhaber – in den zentrifugalen Mittelpunkt des Abends. Wie ein Dionysos der Katastrophe umtänzelt er das stoische Paar, bis es gesellschaftlich mürbe geklopft ist. Was daraus wurde, weiß die Geschichte – und vielleicht bald auch wieder die Gegenwart.
„Kleiner Mann – was nun?“ | R: Susanne Schmelcher | 28.10., 25.11. 18 Uhr, 17., 24.11., 1.12. 20 Uhr, 18.11. 15 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42
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