Claudia Bauer inszeniert in Bonn Jean Genets „Die Zofen“ – Premiere 11/18
Diebstahl, Landstreicherei, Dokumentenfälschung – es waren Lappalien, wegen denen Jean Genet im Knast saß. Doch in seinen Dramen und Romanen mystifizierte er Schwerverbrecher zu göttlichen Helden, denen mit Unterwerfung und Verehrung zu huldigen sei. Spuren davon finden sich auch in „Die Zofen“, einem Drama um das Verhältnis zweier Dienstmädchen zur Gnädigen Frau. In erster Linie aber geht es um das ambivalente Verhältnis von Herrschaft und Beherrschten. Die Zofen spielen ihre eigene Unterdrückung in immer neuen Verkleidungen nach, bis die Realität sie schließlich einholt. Ein Gespräch mit Regisseurin Claudia Bauer, die Genets Klassiker am Theater Bonn inszeniert.
choices: Frau Bauer, wie heilig ist „Saint Genet“ eigentlich noch? Wie eng muss man sich an Genets Vorgaben halten, dass alle Rollen von Männern gespielt werden? Claudia Bauer: Wir haben für unsere Inszenierung nur deswegen grünes Licht vom Verlag erhalten, weil wir Masken einsetzen und das Geschlecht konzeptionell keine Rolle spielt. Auf der Bühne stehen Männer und Frauen, beide Geschlechter sind als Frauen verkleidet. Auch die Frau hat einen künstlichen Frauenkörper. Ich gehe davon aus, dass Schauspieler auf der Bühne in erster Linie Menschen sind und nicht Männer und Frauen. Wenn man auf der Bühne ein Kostüm anzieht, kann man auch ein Geschlecht anziehen. Auch das Geschlecht ist eine Behauptung. Wer dahinter steckt, darf heutzutage keine Rolle mehr spielen, es geht um die Figur. Und die Figuren sind hier eben Frauen.
Ist die gemischtgeschlechtliche Besetzung denn nicht auch eine konzeptionelle Entscheidung? Nein, es war eine menschliche Entscheidung, weil ich die drei Schauspieler großartig finde und schon sehr lange kenne. Sophie Basse und Holger Kraft waren in meinem Ensemble, als ich das Theaterhaus Jena geleitet habe. Und Daniel Breitfelder kam zu meinem inneren Kreis hinzu, als ich in Wuppertal inszeniert habe.
Claudia Bauer
Foto: Sandra Then
Zur Person:
Claudia
Bauer leitete von 1999 bis 2004 das Theaterhaus Jena und war von 2005 bis 2007
als Hausregisseurin am Neuen Theater Halle engagiert. Seit 2015 ist sie
Hausregisseurin am Schauspiel Leipzig. Ihre Uraufführung von Wolfram Hölls „Und
dann“ wurde zu den Mülheimer Theatertagen, ihre Inszenierung von „89/90“ zum
Berliner Theatertreffen 2017 eingeladen.
Welcher Reiz liegt für die beiden Dienstmädchen Solange und Claire darin, sadomasochistische Rollenspiele von Herrin und Domestikin nachzuspielen? Was gibt es Schöneres für den Machtlosen, wenigstens im Spiel den Mächtigen zu verkörpern. Es gibt eine Hassliebe zu der Person, die mich beherrscht: Der Herr oder die Herrin ist einerseits eine grauenhafte, launische Person, die aber zugleich fasziniert, weil sie über Glamour und Benehmen verfügt, weil sie sich in Kreisen bewegt, die einem fremd sind. Jeder Diktator verursacht nicht nur Leid, er ist auch ein Star, von dessen Schönheit man geblendet sein kann.
Gilt Schillers berühmt er Satz: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ auch für die Bosheit und Abgründigkeit des Menschen? Dieses Spiel ist natürlich ein Ventil für die beiden Schwestern. Sie verhalten sich dabei wahrhaftiger, als in Gegenwart der Gnädigen Frau, denn dann müssen sie sich verstellen, sich verbiegen. Im alltäglichen Leben regiert rigorose Triebkontrolle, in der Freizeit können sie die Rollen spielen, die sie möchten.
Was nachgespielt wird, ist die Routine der Unterwerfung. In welchem Verhältnis stehen Spiel und Routine zueinander? Spiel und Routine decken sich nicht, weil die beiden genau wissen, dass sie spielen. Die Reproduktion von Zwang bleibt immer ein So-tun-als-ob, das mehr Freiheit bietet als das Spiel des Lebens, das mich ins Gefängnis bringen kann, wenn ich zum Beispiel meinen Vorgesetzten töte. Allerdings haben Claire und Solange die Grenze des Spiels bereits mit der wirklichen Denunziation des Gnädigen Herrn überschritten.
Genets Setting geht auf einen realen Fall zurück, ihn hat allerdings die soziale Seite an dem Drama nicht interessiert. Nichtsdestotrotz fällt im Stück mal die Formulierung vom „Aufstand der Dienstboten“. Wie revolutionär ist der Plot? Es gibt einen revolutionären Impuls, aber nicht so verkrampft wie bei Brecht. Bei Genet geht es über den sozialen Gestus oder das Anprangern sozialer Verhältnisse hinaus und beschreibt letztlich einen anthropologischen Sachverhalt: Dass es in menschlichen Beziehungen immer Herrscher und Beherrschte gibt. Und zwar überall, in der Ehe, in der Gesellschaft, im Sozialen.
Welche Funktion hat dann der versuchte Mord an der Gnädigen Frau? Es geht darum, zunächst diese beherrschende Person loszuwerden. Am Ende wird aber nicht die Herrin ermordet, sondern die Zofen bringen sich gegenseitig um. Ich finde es zutiefst menschlich, eher sich selbst zu zerfleischen als denjenigen, von dem man drangsaliert wird.
Die Gnädige Frau will für ihren inhaftierten Mann alles aufgeben und die Zofen spielen das nach. Wieviel Ironie und wie viel Narzissmus liegt in der Inszenierung dieses weiblichen Opferkults? Man muss das so spielen, dass die Gnädige Frau sich das selbst glaubt. Ich versuche, Figuren in ihrer Welt so ernst wie möglich zu nehmen und jede Ironie zu vermeiden. Es ist spannender, wenn der Zweifel bleibt, ob die Gnädige Frau sich vielleicht doch aufopfern würde. Man darf auf Figuren nicht mit Geringschätzung blicken, sondern muss sie so wertvoll wie möglich behandeln. Ich bin allerdings auch dem Clownsspiel nicht ganz abhold und Genets Stück hat auch etwas Komödiantisches.
Stehen also drei Clowns auf der Bühne? Nein. Wir orientieren uns an den aufgerissenen und verzerrten Körpern von Francis Bacon. Eine Mischung aus Fleisch, Tier und nacktem Mensch. Körper, die verletzlich und gleichzeitig sehr komisch sind. Es sind weibliche Körper, die man anziehen kann und die ein wenig auftragen.
Apropos Clowns: Steckt in Genets Figuren auch eine ordentliche Portion Beckett? Beckett und Genet sind auf alle Fälle miteinander verwandt. Auch bei Beckett gibt es dieses Master-and-servant-Spiel und die unterworfenen Figuren haben auch diesen unbändigen und doch unterdrückten Hass.
Kann man Genets Verbrechensromantik, diese Verklärung von Mördern, Denunzianten, Sträflingen, die er auch in den „Zofen“ zelebriert, heute noch ernst nehmen? Genet ähnelt darin seinen Figuren: Wie die Zofen oder Gnädige Frau und ihr Opfermythos stilisiert sich auch er zum viel größeren Verbrecher, als er jemals war. Es ist die gleiche Sehnsucht, etwas Extremes zu erleben oder zu erleiden. Darin liegt letztlich auch die Tragikomödie des Stücks. Er ist alles drin: Komödie, Camp, Porno, Ernst, Identität als Täter und Opfer, Identität als Mann und als Frau. Tragik und Komik zu mischen – darin liegt die Königsdisziplin des Theaters.
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