Ohrfeigen gehören auch zur Liebe. Natürlich nur, wenn sie paritätisch verteilt sind und zuvor ausverhandelt wurden. Ein Paar sitzt sich auf zwei Stühlen gegenüber und schlägt sich abwechselnd auf die Wange, dass es knallt. Immer wieder. Ist alles in Ritualen erstarrt? Die Konzepte der Liebe jedenfalls sind durchdekliniert und liegen im Archiv der Paarerfahrung zur Wiederbelebung bereit. Die Gruppe Turbo Pascal nehmen sich die Relation Works von Marina Abramovi und Ulay zum Vorbild, die zwischen 1976 und 1988 ihr Leben als Paar zum Thema ihrer Performances gemacht haben, und schauen, was noch geht. Liebe und Arbeit: Turbo Pascal lädt in der Orangerie zu „Zwei – eine Ritualschlacht“.
Das Paar in Duncan Macmillans „Atmen“ ist der Idealtyp der Fairtrade-Beziehung: Beide gut ausgebildet, lieben Arthouse-Filme, sind politisch interessiert, kaufen nur umweltbewusst. Vor allem aber wissen sie alles über Umwelt-Katastrophen und Klimawandel. Dass sie nun der Wunsch nach einem Kind ereilt, bringt die beiden in ein Dilemma. Jeder Mensch und selbst der kleineste belastet die Umwelt. Ist der egoistische Wunsch nach Nachwuchs also ökologisch zu rechtfertigen? Den Sohn kriegen sie dann doch, die Zweifel bleiben. Macmillan pflügt in seinem Stück zugleich durch die Geschichte des Paares, vom ersten Äußern des Kinderwunsches an der Kasse von IKEA bis zum Monolog der Frau am Grab ihres Mannes auf dem Friedhof. Im Theater im Bauturm lässt Regisseurin Catarina Fillers die beiden Ökos ins Messer ihres schlechten Gewissens laufen.
Dass Liebende in früheren Jahrhunderten, als die reflexive Cloud noch nicht über den Bürgerseelen schwebte, glücklicher gewesen wären, lässt sich auch nicht behaupten. Schönheit und Dummheit paarten sich schon damals, zum Beispiel in dem Adeligen Christian de Neuvillette, der in die ihm weit überlegene Roxane verliebt ist. Sie allerdings auch in ihn. Doch wie verfasst man Liebesgedichte, wenn die Hirnfrequenz nicht ausreicht? Man engagiert einen Ghostwriter. Cyrano de Bergerac übernimmt das schwierige Amt. Er ist einfühlsam, klug und belesen – und ebenfalls verliebt in die wunderschöne Roxane. Aufgrund seiner gewaltigen Nase fürchtet er allerdings die Zurückweisung der Angebeteten und stellt sich in den Dienst des Beaus. Und: Der Leihpoet bewahrt sein Geheimnis: selbst als Neuvillette fällt und Roxane sich ins Kloster zurückzieht. Erst nach vierzehn Jahren kommt die Wahrheit ans Licht, zu spät. Der historische Cyrano allerdings war mehr als ein unglücklich Liebender, eher ein extremer Freigeist, der in seinen Schriften die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse feierte, die Kirche mit scharfem Verstand kritisierte – und eben eine große Nase hatte. Simon Solberg nimmt sich den romantischen Klassiker „Cyrano de Bergerac“ von Edmond Rostand am Schauspiel Köln zur Brust.
„Zwei – eine Ritualschlacht“ | R: Turbo Pascal | Sa 7.5. 20 Uhr | Orangerie | 0221 952 27 08
„Atmen“ | R: Catharina Fillers | Sa 7.5.(P) 20 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42
„Cyrano de Bergerac“ | R: Simon Solberg | 15., 17.4. 18 Uhr, 28., 29.4. 19.30 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Zwischen den Fronten
„Making the Story“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
Die Grenzen des Theaters
„Was ihr wollt“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
Das Ende der Herrlichkeit
„Der Fall Ransohoff “ am Orangerie Theater – Theater am Rhein 02/25
Lebensgeschichten für Leerstellen
„Vatermal“ am Schauspiel Köln – Prolog 01/25
„Es geht schlichtweg um alles“
Regisseur Marcus Krone und Schauspielerin Kristina Geßner über „Am höchsten Punkt“ in der Orangerie – Premiere 01/25
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Vererbte Traumata
Stück über das Thiaroye-Massaker am Schauspiel Köln – Prolog 12/24
„Die Hoffnung muss hart erkämpft werden“
Regisseur Sefa Küskü über „In Liebe“ am Orangerie Theater – Premiere 11/24
Keine Macht den Drogen
„35 Tonnen“ am Orangerie Theater – Prolog 10/24
Spam, Bots und KI
„Are you human?“ am Theater im Bauturm – Prolog 10/24
„Das Ganze ist ein großes Experiment“
Regisseurin Friederike Blum über „24 Hebel für die Welt“ in Bonn und Köln – Premiere 10/24
Getanzter Privilegiencheck
Flies&Tales zeigen „Criminal Pleasure“ am Orangerie Theater – Prolog 09/24
Der Übermann
„Boys don‘t cry“ in der TanzFaktur – Theater am Rhein 04/25
Zwischen Begierde und Tabu
„Spring Awakening“ am Jungen Theater Bonn – Prolog 04/25
„Wir suchen Orte der Wut und Traurigkeit auf“
Dana Khamis und Judith Niggehoff vom Jugendclub Polylux über „Trauer//Fall“ am Schauspiel Köln – Premiere 04/25
Die Zukunft lauert im Egoisten
„Der ewige Spiesser“ am Theater der Keller – Auftritt 04/25
Im Schatten der Diktatur
„Jugend ohne Gott“ am Comedia Theater – Theater am Rhein 03/25
Freiheit oder Ausgrenzung?
„Draußen“ im Jugendpark Köln-Mülheim – Prolog 03/25
Der Mensch als Scherbe
„Der zerbrochene Krug“ am Horizont Theater – Theater am Rhein 03/25
Totale Berührung
„Do not touch!“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 03/25
Fixer im Dienst der Wahrheit
„Making the Story“ am Schauspiel Köln – Prolog 03/25
„Ich erwische mich dabei, Stofftaschentücher zu bügeln“
Regisseur Sebastian Kreyer und Schauspieler Daniel Breitfelder über „Der ewige Spiesser“ am TdK – Premiere 03/25
Spiegelbild der Wutbürger
„Kohlhaas (Can‘t Get No Satisfaction)“ am Schauspiel Bad Godesberg – Auftritt 03/25