Knut ist tot. Er starb vor den Augen seiner Fans. Der plötzliche Tod des Zoo-Stars schockt auch Tierliebhaber weltweit. Selbst Oberst Muammar Abu Minyar al-Gaddafi konnte eine Träne unterm Regenschirm wohl nicht verbergen. „Die Ratten haben ihn umgebracht“ soll er dabei gemurmelt haben. Vergessen ist das Drama eines Erdbebens, das Desaster eines Tsunamis und die Gefahr einer strahlenden Wolke am Himmel über Tokio. Die Macht der Gewohnheit hat den Reflex auf visuelle Reize erreicht und die müssen täglich erneuert werden, selbst wenn der kulturlose Wahnsinn dabei Pate steht. Ich denke in diesen Tagen besonders an Shino und ihren kleinen Sohn Naoaki in der asiatischen Megametropole und hoffe es geht ihr gut. Denke an ihre Hochzeitsfotos im traditionellen Kimono-Outfit. Eine Zeremonie wie im No-Theater. Es gibt dort das Drama vom Wahnsinn. Es hat wie bei der Komödie Kyōgen strenge Formalia, präzise Abläufe, über Jahre trainierte Bewegungen. Es kämpfen Götter und Dämonen mit Kriegern und Affen. Ein wunderschönes aber schwer zu durchschauendes Gesamtkunstwerk auf der Bühne. Und dieses Drama vom Wahnsinn findet gerade real in Japan statt. Nyodo, der Dämon mit den drei Augen scheint losgelassen und kaum bezwingbar.
Selbstverständlich hat da noch nie ein Eisbär mitgespielt und auch kein durchgeknallter Araber, natürlich auch keine französischen und britischen Kampfpiloten. Nicht einmal der olle Godzilla. Kann sich ja ändern: denn wer denkt momentan an die kleine Echse, die zu ihren Eiern am Strand von Fukushima schwimmt? Kaputt oder riesengroß, das ist immer die Frage. Im Tierreich wie in der Wirtschaft. Die Existenz wird eben überall auf dem Planeten problematischer, auch in den Theatern und Museen und natürlich im Event-Tiergehege. Es ist eine Frage von gestörter Wahrnehmung, die vage Hoffnung auf den Reiz, der alle anderen übertrumpft. Das gilt für die individuelle Selbstdarstellung wie für das Anpreisen eines völlig überflüssigen Verkaufs-Gegenstands und natürlich für den materiellen Besitzstand. Wo sind wir nun hingetrieben? Immer wieder in die Falle des Turbokapitalismus, der einen ständig über Geld nachdenken lässt? Nein, die Weltgemeinschaft denkt kulturell positiv und deshalb haben die Vereinten Nationen 2011 zum Internationalen Jahr der Wälder ausgerufen. Auch der Regionalverband Ruhr (RVR) als größter kommunaler Waldbesitzer in NRW beteiligt sich daran mit zahlreichen Aktivitäten. Kann es sein, dass auch hier bei uns Götter und Dämonen mit Kriegern und Affen kämpfen? In den vergangenen paar hundert Jahren ist doch bei uns alles umgepflügt worden, wurde die Nutzpflanze auf einer Nutzfläche gepäppelt und dann zu Presspan geraspelt. Und kommt mal Nyodo, der Dämon mit den drei Augen (bei uns hieß der Kyrill), dann ist das Gejammer der Waldbesitzer groß. Was sollen Kinder lernen, die Eisbären im Tierpark beweinen oder durch Bäume in Reih und Glied streifen? Etwa dass eine Holzheizung besser als ein Kernkraftwerk ist? Knut würde sich da, wenn er das Eismeer je gesehen hätte, schön bedanken. Wir leben leider nicht im streng strukturierten No-Theater, sondern auf einer Varieté Bühne
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