Der Blick vom Kölnturm im Mediapark ist atemberaubend. Richtet sich der Blick nach Nord-West dann stechen einem die Braunkohlemeiler Neurath und Frimmersdorf bei Grevenbroich ins Auge mit ihren riesigen weißen Rauchfontänen, die gen Himmel steigen. Mit ein bisschen kindlicher Fantasie könnte man meinen, dass dort Wolken hergestellt werden. Nüchtern betrachtet wird dort aber vor allem zweierlei produziert: Strom, den man will, und CO2, das in Kauf genommen wird. Mit einem Anteil von 75 Prozent im Jahre 2012 ist Kohle in NRW die wichtigste Einsatzenergie für die Stromerzeugung und damit hauptverantwortlich für die im bundesweiten Vergleich hohen CO2-Emissionen. Sank der bundesdeutsche CO2-Ausstoß von 1990 bis 2007 um rund 20 Prozent, schlagen für NRW im gleichen Zeitraum läppische 3,1 Prozent CO2-Reduktion zu Buche. Nirgendwo wird derzeit in einem Maß Braunkohle verfeuert, wie in der Bundesrepublik – neben dem Rheinischen wird noch im Mitteldeutschen Revier zwischen Halle und Leipzig und bei Cottbus in der Lausitz Braunkohle abgebaut und verfeuert. Kurioserweise für eine Produktion von Strom im Überangebot. An acht von zehn Tagen exportiert Deutschland Strom – nicht selten wird er ins Ausland verschenkt, obwohl die Energieausgaben der Verbraucher stetig steigen.
Der Brennstoff für die Meiler bei Grevenbroich kommt gleich aus der Nachbarschaft. Noch bis 2044 werden sich die Schaufelradbagger von RWE Power im Braunkohletagebau Garzweiler 2 Richtung Erkelenz durch die Landschaft fressen. Beim betrachten der umgewälzten und ausgeschlachteten Landschaft verliert das Konzept des „Ökologischen Fußabdrucks“ von Mathis Wackernagel und William Rees schnell jedweden statistischen und theoretischen Charakter. Im Rheinischen Braunkohlerevier wird offensichtlich, dass wir auf (zu) großem ökologischen Fuß leben.
Das in den 1990ern eingeführte Konzept des „Ökologischen Fußabdrucks“, ist eine Methode zur Messung des menschlichen Umweltverbrauchs. Damit lässt sich ziemlich exakt die Fläche berechnen, die die Natur bräuchte, um die Rohstoffe zu erneuern und den Abfall aufzunehmen, die der Mensch für Ackerbau, Tierhaltung, Energiegewinnung, Mobilität, Holzgewinnung und so weiter verbraucht. Um genau zu verdeutlichen, an welchem Tag im Jahr jeweils der Raubbau an der Natur beginnt, wurde der „World Overshoot Day“ (WOD) eingeführt. Es ist der Tag, an dem wir das ökologische Guthaben aufgebraucht haben, in den Öko-Dispokredit rutschen und über unsere Verhältnisse leben. Das ist mindestens seit den 1980ern Fall. Fiel der WOD 1987 immerhin auf den 19. Dezember, ging es 2013 bereits am 20. August an die Substanz.
Für einen durchschnittlichen deutschen Verbraucher schlagen übrigens rund zwei Erden zu Buche. Ein ebenso durchschnittlicher Indonesier hingegen braucht gerade einmal zwei Drittel der Biokapazität – die Größe, die die Regenerationsleistung der Erde beschreibt. So verwundert es nicht, dass wir – die Menschen in der westlich industrialisierten Welt – die Hauptschuldner sind. Ein sinnfälliges, weil extremes Beispiel: Der ökologische Fußabdruck eines heute in den USA geborenen Babys wird bis zu seinem Lebensende 86-mal so groß sein, wie der eines gleichzeitig in Nigeria geborenen Kindes.
Wer es genau wissen will, der hat im Internet die Möglichkeit, den eigenen Öko-Fußabdruck zu berechnen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Brot für die Welt oder der Schweizer World Wildlife Fund (WWF) bieten gut gemachte und einfach bedienbare Rechner an. Das Schöne an ihnen ist, dass sie den Nutzer auf energetische und ökologische Defizite in der eigenen Lebensführung aufmerksam machen. Bei manch einem wird der Schreck beim Blick auf die eigene Ökobilanz vielleicht so groß sein, dass er tatsächlich weniger Fleisch essen, öfter auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen oder Ökostrom beziehen will. Allein durch die Veränderung der Lebensführung – und das ist das Fatale – ist ein Leben auf kleinerem Öko-Fuß aber nicht möglich. Der WWF konstatiert im Living Planet Report 2012, dass Einzelpersonen im Allgemeinen keinen direkten Einfluss haben auf die Größe des Fußabdrucks von bebauten Flächen, der Intensität der landwirtschaftlichen Produktion eines Landes oder der Art der Stromerzeugung. Beim Blick vom Kölnturm nach Nordwesten wird diese Erkenntnis sinnfällig. Wir können zwar Energie sparen, an der Art ihrer Erzeugung ändern wir damit aber nichts. Der Beleg sind die gigantischen Rauchfontänen.
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