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„Im Kopf von Bruno Schulz"
Foto: Tommy Hetzel

Leeres Neuronengewitter

26. Februar 2015

„Im Kopf von Bruno Schulz" im Schauspiel Köln – Theater am Rhein 03/15

Wer in den Seelenkopf eines Menschen eintaucht, muss mit allerlei Überraschungen rechnen. Nicht nur, dass es da ziemlich bewegt zugeht, sondern dass an jeder Ecke ein Abgrund lauert. Maxim Biller taucht in seiner Erzählung „Im Kopf von Bruno Schulz" in die angsterfüllte surreale Seelenkammer des jüdischen Schriftstellers (1892-1942) ein, der vom polnischen Drohobycz aus verzweifelt versucht, literarisch Fuß zu fassen. Schulz schreibt einen Brief an Thomas Mann, in dem er von dessen angeblichen Doppelgänger in Polen berichtet; er pflegt seine Ängste und seine kafkaesken Visionen, ergeht sich in S/M-Fantasien und antizipiert den Holocaust mit Thomas Mann als Parteigänger der SS-Schergen.

Regisseurin Christina Paulhofer hat Billers Erzählung dramatisiert und sich dafür einen Parcours aus schulischen Folterinstrumenten wie Kasten, Matten, Barren bauen lassen: Anspielung auf Schulz' Unterwerfungsfantasien gegenüber einer Sportlehrerin und auf NS-Körperstählungsprogramme. Hier turnen sich die drei Schauspieler durch den Abend. Nicola Gründel gibt eine behaarte Domina mit Stoffgemächt unterm langen Kleid, Dölle den tapsigen Schriftsteller, dem alles misslingt, und Seán McDonagh den tuntigen Großliteraten im Goldlaméjackett. Es ist ein Theaterabend, der als Assoziationsoverkill solipsistisch vor sich hinschnurrt. Man turnt über den Schwebebalken, drischt mit einem Baseballschläger auf Stoffpuppen, inszeniert einen Catwalk, holt Utensilien aus zwei seitlich aufgestellten Glasvitrinen – ein Einfall jagt den nächsten, manches lässt sich entschlüsseln, vieles rauscht einfach nur vorbei. Wer weder Schulz noch Biller kennt, ist restlos verloren an diesem Abend. Bruno Schulz bleibt nicht nur ein Fremder, sein tragisches Schicksal – bei allem surrealen Zuschnitt durch Biller – berührt in keinem Moment. Und seine Ängste, die überindividuellen Charakter beanspruchen könnten, kommen über die schiere Behauptung kaum hinaus. Auch wenn das Neuronengewitter in menschlichen Köpfen überwältigend sein mag, auf der Bühne gelten andere Gesetze.

„Im Kopf von Bruno Schulz" | R: Christina Paulhofer | Schauspiel Köln | So 1.3. 17 Uhr, Do 12.3., Sa 14.3., Mi 18.3. je 20 Uhr | 0221 22 12 84 00

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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