Und ich dachte immer, beamen wäre was für Trekki-Nerds. Und doch sitze ich da und schaue auf die Bühne. Klar, natürlich Frank Castorf – gleich hüpft Sophie Rois herein oder Fabian Hinrichs durchs illuminierte russische Hüttendorf mit Bushaltestelle und Pepsi-Cola-Werbung und – nix da. Denn draußen vor dem Kölner Ersatztheater vergeht das Grün des Urban Gardening, hier drinnen werden die Stunden vergehen wie im Zeitraffer. Der Berliner Volksbühnenheld Frank Castorf schließt in Köln mit „Ein grüner Junge“ seine Dostojewski-Reihe, quasi auf der Durchreise. Ob deshalb im wunderbaren Bühnenbild von Alexander Denic am Rand bereits ein kleiner Серпуховский (Saporoshez) geparkt steht, wird sich erst am Ende zeigen.
Die zähe Kraft der peniblen Genauigkeit erfordert Zeit, Stunden, die viele Zuschauer nicht mehr haben. Klar, zur Premiere, da hofft man noch auf das Gesehenwerden, auf Anerkennung, zwar nicht Rothschild, aber doch wenigstens rheinischer Karnevalsadel geworden zu sein, an meinem Abend (der vierte) da lichten sich die Reihen lange vor der Pause und mein Nachbar stöhnt gequält im Minutentakt. Dabei sind die ersten drei Stunden doch Hopplahé, da staunt man begeistert über die Qualität des Ensembles, da kann man sich kaum sattsehen am russischen Datscha-Diorama, das durch zwei Nebelmaschinen dauerhaft im Nebel liegt.
Die Geschichte stürmt nur so dahin: Das unehelichen Kind Arkadij Dolgorukij (Nikolay Sidorenko) jagt im grünen Anzug seinem undurchsichtigen Vater hinterher, den er zwar treffen, aber nie berühren wird, der immer geile scheinneureiche Selbstbetrüger, der zwischen leicht bekleideten Traumfrauen von der weiblichen Unterordnung träumt, ist vom Untergang bedroht. Wie eigentlich alles in der prickelnden Castorfschen Kapitalismusanalyse auf den Spuren Dostojewskis. Der zweite Dreistünder flieht vor dem riesigen Kinoplakat von „The House of Rothschild“ mit Boris Karloff von 1934 selbst in die Theater-Videothek des wilden St. Petersburg. Endlich dort angekommen wird die Geschichte für Arkadij immer verwirrender zwischen Revolution und Genusssucht. Der Zuschauer kann diese Verwirrung teilen, aber das Ensemble, insbesondere Tipfaine Raffier als Betrügerin Alphonse halten ihn auf Kurs zwischen Flucht und Bleiben. Mein Nachbar war glücklicherweise längst weg.
„Ein grüner Junge“ | R: Frank Castorf | 5., 29., 30.1. je 18 Uhr | Schauspiel Köln, Depot 1 | 0221 22 12 84 00
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