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Madame la mort

01. Juli 2009

Der Symbolist Maurice Maeterlinck wird in Deutschland selten gespielt. Ilil Land-Boss bringt sein Stück "Der Tod des Tintagiles" auf die Bühne - Premiere 07/09

choices: Frau Land-Boss, wie sind Sie darauf verfallen, sich für Ihre erste Inszenierung Maurice Maeterlincks „Der Tod des Tintagiles“ auszusuchen?
Ilil Land-Boss:
Als ich das Stück vor sieben Jahren zum ersten Mal gelesen habe, hat es mich sofort gepackt. Ich habe damals in Paris studiert und danach auch eine Arbeit über Maeterlinck geschrieben.

Den Inhalt von Maeterlincks Stücken zu beschreiben, ist fast unmöglich. Können Sie es trotzdem versuchen?
Auf der Oberfläche geht es im Stück um das Kind Tintagiles, das über das Meer in ein Schloss kommt, wo bereits seine zwei Schwestern und ein Greis wohnen. Es folgt damit einem Befehl einer nie auftretenden Königin, die als Personifizierung des Todes oder das Schicksal zu verstehen ist.

Hat das mit dem weiblichen Geschlecht des Todes, la mort, im Französischen zu tun?
Ja, bei Materlinck geht es ja oft um Kinder oder Jugendliche, die um ihre Leben kämpfen, aber eigentlich schon von vornherein wie Tote bzw. Untote beschrieben werden. Beim Lesen fragt man sich, warum die Figuren das Schloss nicht verlassen. Ygraine, die ältere Schwester von Tintagiles, sagt: „Ich wollte gehen und konnte nicht“. Es ist wie im Traum, wenn man wegrennen will und nicht kann. Es gibt zwar insgesamt vier Figuren, es sind aber keine psychologisch klar umrissenen Persönlichkeiten, eher vier Aspekte eines Bewusstseins; Figuren, die aus einer anderen Welt auftauchen. Ich fühle mich da dem polnischen Regisseur Tadeusz Kantor verbunden, der sagt, dass Bühnenfiguren wie Tote aus ihrem Grab auferstehen, zwei Stunden für uns tanzen und wieder weggehen.

Maeterlinck sagt im einem Aufsatz über das Schweigen: „Sobald wir uns wirklich etwas zu sagen haben, müssen wir schweigen“. Welche Rolle spielt die Sprache?
Das Schweigen ist ihm sicherlich sehr wichtig. Die Sprache ist für ihn eher Poesie, das Musikalische spielt eine große Rolle. Man kann die Sprache also nicht auf ihre Informationen reduzieren. Sie verweist auf das Andere, das Undarstellbare und das Unsagbare. Gerade deshalb ist die Sprache auch sehr wichtig, und deshalb habe ich auch nichts gekürzt.

Wie gehen die Schauspieler damit um?
Es ist für Schauspieler schwer zu sagen: „Ich liebe dich“ oder „Ich sterbe jetzt“. Gerade bei Maeterlinck besteht die Gefahr, dass solche Worte schnell ins Pathetische abrutschen. Um das zu verhindern, haben wir eine Partitur aus Gesten entwickelt, die mit bestimmten Begriffen aus dem Stück verbunden sind und einer vom No-Theater beeinflussten Art des langsamen Gehens. Das Stück soll wie ein Gang auf einem zugefrorenen See sein, bei dem man nie weiß, ob das Eis beim nächsten Schritt noch trägt. Diese Vorsicht ist mir wichtig, gerade auch für das Spiel der Darsteller. Wir haben kein Gefühl mehr für die Wirksamkeit des Handelns, der einzelnen Geste. Und das ist auch in dem Stück so; die Figuren wissen nicht, ob die Wände Ohren haben, ob nicht jedes gesagte Wort ihr Schicksal verändert.

Das klingt nach einer sehr reduzierten und zugleich artifiziellen Bühnensprache.
Maeterlinck wurde häufig eher in kargen Räumen inszeniert. Das Artifizielle gehört da zwingend dazu, das Stück spielt ja nicht im Wohnzimmer oder am Küchentisch. Maeterlinck spiegelt Realität nicht im gängigen Sinne wider. Ich möchte, dass die Vorstellung im Kopf des Zuschauers stattfindet, und dies nicht durch zu viele Bilder auf der Bühne verbauen.

Gibt es da Vorbilder?
Mich interessiert nicht, Hölderlin im Gymnastikanzug zu sprechen, also das Hehre ins Gewöhnliche herunterzuholen. Das ist durchaus legitim, ich neige aber in der Ästhetik, in Kostüm und Bühnenbild eher zu einer gewissen Zeitlosigkeit und Reduktion. Bei Grotowski, Ariane Mnouchkine oder dem Odin Teatret gibt es den Begriff des Theaters als extraquotidien, als das nicht Alltägliche. Das Sakrale des Theaters ist mir sehr wichtig. Ich möchte das Heilige heilig halten, gerade weil es sehr profan und sehr menschlich ist. Die Suche nach etwas Fundamentalen, nach etwas Größerem, nach Ritualen ist etwas sehr Wichtiges. In Deutschland wurde das nach dem Missbrauch durch den Nationalsozialismus gekappt, nichtsdestotrotz darf man nicht in die Falle tappen, das Bedürfnis nach diesem Spirituellen zu verteufeln. Wenn das keinen Raum findet, rächt es sich irgendwann.

Sie haben von der Langsamkeit gesprochen. Welche Rolle spielt die Zeit?
Langsamkeit gehört zu diesem Stück dazu, trotzdem möchte ich damit nicht provozieren, sondern die Zuschauer berühren. Der französische Regisseur Claude Régy hat mal gesagt, leider sei das Schicksal die langsamste Sache der Welt. Und ich sehe da eine schwarze schwere Lokomotive, die langsam auf dem festgelegten Schienenweg durch die Nacht fährt.

Wie aktuell ist dieses „Leben zum Tode“ bei Maeterlinck?
Das Merkwürdige bei Maeterlinck ist, dass die Figuren schon als Tote dargestellt werden, und gleichzeitig kämpfen sie innerhalb der Handlung um ihr Leben. Ein sterbendes Kind jedoch hat noch ein größeres Bewusstsein von den Zuständen vor und nach dem Leben. Auch in der Realität finden sich Kinder ganz anders mit dem Tod ab als Erwachsene. Der Tod spielt in unserer Kultur bei weitem nicht die Rolle, die er spielen müsste. Wie das Beispiel vom Zelltod zeigt, brauchen wir den Tod, um leben zu können.

Worin liegt der Grund für diese Todesvergessenheit?
Es ist ein möglicher Umgang mit der Tatsache, dass wir irgendwann sterben müssen. Manche haben den Tod in unseren Augen über die Maßen gefeiert, und wir verdrängen ihn weitgehend. Doch das Glück des langen Lebens kann es nur geben, wenn es den Tod gibt. Jedes Kunstwerk ist der Versuch, etwas zu hinterlassen angesichts unserer Sterblichkeit.

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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