Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
16 17 18 19 20 21 22
23 24 25 26 27 28 29

12.581 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Foto: Hans Diernberger

Besitzverhältnisse in Frage stellen

27. November 2019

Sonder: Sammlung 2 zeigt „Mint Condition“ in der Orangerie – Auftritt 12/19

Gelbe Tennisbälle ploppen ohne Unterlass aus einem Automat auf die Bühne. Doch in der Orangerie trainiert niemand seinen Return. Im Gegenteil: Es geht um Akkumulation. Was man hat, das hat man. 872 000 Tennisbälle im Wert von jeweils 2 Euro sollen es sein, erzählt die Tänzerin Theresa Hupp verschmitzt – man könnte sie also für eine Millionärin halten. Auf der Bühne von Sophia Schach in der Orangerie stehen außerdem eine Anzahl schwarzer Sockel – noch so ein Gegenstand der Wertsteigerung. Was darauf steht, hat Geld gekostet. Also muss erst mal Bilanz gemacht werden: Theresa Hupp und Will Saunders benennen, was von den Bühnengegenständen bezahlt ist und was nicht. „Mint Condition“, dt. „in gutem Zustand“, nennen die beiden ironisch ihren Abend. Ein Theaterstück, das nicht ganz neu, vielleicht sogar schon mal benutzt wurde: Möchte man dafür Geld ausgeben? Sollte man in diesem Fall unbedingt.

Unter dem Label „Sonder: Sammlung 2“ haben die Performerin Theresa Hupp und die beiden Musiker Will Saunders, der auch auf der Bühne steht, und Oxana Omelchuk fünf Texte von Gertrude Stein zum Ausgangspunkt genommen. 1936 hat die Dichterin Prosastücke über „Geld“ veröffentlicht, die schon im Steigerungscharakter ihrer Überschriften„Geld“, „Mehr über Geld“, „Noch mehr über Geld“ usw. die Akkumulation des Kapitals andeuten. Stein wird dabei mitunter ungewohnt konkret, wenn sie über Steuern oder den amerikanischen Kongress spricht. Doch Theresa Hupp und Will Saunders haben nur sprachspielerische Texte ausgewählt, denn auch dieSteinschen Wortwiederholungen, kreisenden Sätze und das reduzierte Sprachmaterial lassen aufgrund der ästhetischen Gestaltung weitere Grundzüge des Geldes wie Zirkulation und Abstrahierung erkennen.

Dass Hupp und Saunders die eigenen Soli per Münzwurf auslosen, verquickt zudem John Cages ästhetische Zufallsoperationen mit pekuniären Wertfragen: Kopf oder Zahl. Theresa Hupp reduziert ihren Tanz zu einer kleinen Einlage auf der Habenseite des Stücks. Anschließend setzen sich die beiden in trauter Eintracht auf die Sockel, Knie an Knie und gleiten leichtfüßig durch die Texte der Stein („Ist Geld Geld oder ist Geld nicht Geld“) und anderes Material. Da werden eigene Besitzverhältnisse in Frage gestellt; das Zählen des Geldes verdichtet sich in einem pseudologischen Zirkelschluss („Menschen können zählen. Menschen zählen Geld…Geld gibt es wegen des Zählens“), dazu sammelt Theresa Hupp Tennisbälle ein und schreitet die Bühne in strikt orthogonaler Struktur ab. Doch es geht auch um das Abtragen von Schulden. Will Saunders erzählt, sein Ehemann habe ihm ein Klavier geschenkt. Schuld ist bekanntlich die Grundlage vieler sozialer Beziehungen. Will Saunders versucht, seine Schulden gegenüber seinem Lebensgefährten mit einem selbst komponierten Song zurückzuzahlen. Liebe verbindet sich mit Geld und Kunst. Der faszinierende Abend verknüpft so immer neue Bedeutungsfelder und ist deshalb nicht nur in gutem, sondern in hervorragendem Zustand.

„Mint Condition“ | R: Theresa Hupp/Will Saunders | WA Okt. 2020 | Orangerie-Theater | 0221 32 78 17

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Musikalischer Abriss
Die Sanierungsphase der Orangerie beginnt bei der TheaterNacht – Prolog 09/23

Vertreibung der Dämonen
„Vagabunden“ am Orangerie Theater – Prolog 05/22

Die verflixte Kunst
Jan Peszek beim Urbäng-Festival – Festival 10/21

Porsche und Grille
„Die Mars-Chroniken“ im Orangerie-Theater – Theater am Rhein 12/19

Gemeinschaft ist das Ziel
Im Tanzstück „Invited“ von Ultima Vez spielt das Publikum mit – Tanz 10/19

Bruderzwist und Vaterstress
„Raub – nach F. Schiller“ im Orangerie-Theater – Theater am Rhein 10/19

Das Paradies der Egoisten
Kristóf Szabó und die Vision vom optimierten Menschen – Tanz in NRW 09/18

Skalpell im Gehirn
Theaterexpeditionen im November – Prolog 10/17

Heiraten – oder lieber lesen?
„Die gelehrten Frauen“ im Orangerie-Theater – Theater am Rhein 07/17

Straße gegen Bühne
Der Erfolg des Katalyst Festivals in Köln – Tanz in NRW 06/17

„Völlig wahnsinnige Racheaktionen“
Tim Mrosek inszeniert in der Orangerie die Rachetragödie „Titus“ – Premiere 04/17

Delirium der Sprache
„Dosenfleisch“ in der Orangerie – Theater am Rhein 05/16

Bühne.

HINWEIS