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Probenfoto „Moby Dick“
Foto: Thomas Morsch

Tyrannenmord und weißer Wal

05. Mai 2015

Frank Heuel und das fringe ensemble bringen „Moby Dick“ im Theater im Ballsaal auf die Bühne – Premiere 05/15

Mit 38 Jahren war die Schriftstellerkarriere von Herman Melville zu Ende. Selbst der 1851 veröffentlichte Roman „Moby Dick“ konnte den Abstieg in der Publikumsgunst nicht aufhalten. Das Werk um die Jagd von Kapitän Ahab nach einem weißen Wal ist allerdings weit mehr als ein Abenteuerbuch mit viel Action. Der frühere Seemann Melville experimentiert darin mit einer multikulturellen Schiffsbesatzung und der Frage politischer Ordnungssysteme, er zitiert zahlreiche Gattungen bis zum Drama und unterzieht verschiedene Erkenntnismodelle einer Kritik. Doch seine Radikalität, die uns heute selbstverständlich erscheint, brach ihm als Schriftsteller schließlich das Genick: Melville verdingte sich als Zollinspektor in New York – während „Moby Dick“ später zu dem amerikanische Roman überhaupt erhoben wurde.

choices: Herr Heuel, träumen wir alle von einem weißen Wal, dem wir hinterherjagen? Wofür steht die Figur des weißen Wals? Frank Heuel: Melville betont immer wieder den Unterschied zwischen dem Tier und dem Menschen im Bewusstsein der Endlichkeit, der trotzdem immer weitermacht, als ob es den Tod nicht gäbe. Moby Dick ist letztlich der Tod, der auf uns wartet und mit dem wir uns arrangieren müssen. Zugleich unternehmen wir aber immer wieder den Versuch, uns mit immer neuen Rekorden bleibenden Ruhm zu erwerben, zum Beispiel noch einen Achttausender zu besteigen oder mit Solarflugzeugen die Welt zu umfliegen.

Wir sind alle ein wenig Hollywood-infiziert und stellen uns „Moby Dick“ gerne als Actionthriller vor. Was macht den Roman fürs Theater übersetzbar? Wir werden uns sicherlich nicht an einer Illustrierung des Geschehens versuchen, sondern mit dem Material über Welt erzählen. Das steht stärker im Vordergrund als die Geschichte um Ahab und den weißen Wal. Wir brauchen auf der Bühne den epischen Fluss, um eine Stimmung zu erzeugen, sonst hängt man zu sehr an dem, was geschieht. Wir werden keine leere Bühne haben, allerdings auch nicht jeden Raum illustrieren. Ich hoffe, dass wir im Raum eine Umsetzung hinbekommen, die klarmacht, dass am Ende der Wal da und das Schiff verschwunden ist. Den Kniff für die Inszenierung verrate ich nicht, außerdem weiß ich nicht, ob er die Halbwertzeit der Proben übersteht. Und schließlich liegt mir die poetische Schönheit von Melvilles Roman am Herzen, zum Beispiel die Beschreibung, wie das Schiff mitten in eine Walherde gerät und die Geburt eines jungen Wals beobachtet. Oder wie der kleine Pip bei einer Bestrafungsaktion durch die Mannschaft verrückt wird. Am Ende soll der Abend eine Mischung aus Drama, Performance und Meditation werden.

Frank Heuel

Foto: Thomas Morsch

Frank Heuel ist als freier Regisseur tätig und leitet das fringe ensemble. 2002 wurde er in der Zeitschrift „Theater heute“ zum besten deutschen Nachwuchsregisseur nominiert, 2006 erhielt er den NRW Förderpreis für „Geschichten+“. Seit 2007 entstanden Produktionen in Zusammenarbeit mit dem Theater Bonn, darunter „Das Treibhaus“ oder „Zwei Welten“, das zum NRW Theatertreffen 2010 eingeladen wurde. Seit 2011/12 ist er Mitglied der Künstlerischen Leitung der Schaubühne Lindenfels in Leipzig.

Und die Figuren?
Wir haben fünf Männer und drei Frauen auf der Bühne und es wird keine Rollenzuschreibungen geben. Es gibt nicht nur einen Ahab. Es geht um den Text, der uns in Ahab präsentiert wird, und wer ihn dann spielt, ist letztlich gleichgültig. Natürlich wird es Gründe geben, warum der Schauspieler oder die Schauspielerin eine Textpassage von ihm spricht.

Sie haben eine Reihe gestartet mit dem Titel „Das große Welttheater“. Warum widmet sich ausgerechnet das fringe ensemble im kleinen Theater im Ballsaal den großen Stoffen?
Das hat mit der Tradition des fringe ensemble zu tun, das sich neben den Autorenprojekten wie zuletzt „Vor den Hunden“ immer wieder auch große Stoffe wie „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Marquez oder „Als ich im Sterben lag“ von Faulkner vorgenommen hat. Wir haben solche Texte auch bisher nicht konventionell dramatisiert mit Rollen und Figuren, sondern immer mit diesem Wechsel von epischen und dialogischen Passagen. Nachdem wir nun mehrere Uraufführungen rausgehauen haben, wollten wir uns der „Basis der Weltgeschichte“ widmen und da kommt man an Melvilles „Moby Dick“ nicht vorbei.

Wieso ist „Moby Dick“ großes Welttheater?
Weil das Buch neben der Story, die uns als Jugendroman schon in unseren jungen Jahren beglückt hat, auch einen enzyklopädischen Aspekt hat. Das Schiff ist die Welt, die wiederum eingebettet ist in die nächst größere Dimension des Meeres als Sinnbild für das Ewige und die große Ordnung. Das Schiff macht nicht ein einziges Mal in den dreieinhalb Jahren Fahrt an Land an.

Was ist das für eine Ordnung? Geht es um die Natur und die Hybris des Menschen? Geht es um einen göttlichen Heilsplan?
Es gibt, so beschreibt es Melville, eine große, alles beinhaltende Ordnung, in der die Welt ruht und die nicht in Frage zu stellen ist. Ahab versucht, diese Ordnung auszuhebeln. Er stellt seine Rachsucht über alles und behauptet, das Böse aus der Welt zu tilgen. Ahab allerdings erhebt sich damit über Gott und darin liegt sein Frevel. Es ist dann Moby Dick, der diese Ordnung wiederherstellt, indem er Ahab vernichtet.

Der Begriff „Welttheater“ beinhaltet ja auch, dass es um grundlegende Themen der menschlichen Existenz geht. Welche sind das in „Moby Dick“?
Melville streut in den 135 Kapitalen immer wieder Dinge ein, die total aktuell sind. Ein zentrales Thema ist die Religion, die Melville später bei der Rezeption große Probleme bescherte. Der Grund liegt in der engen Freundschaft des kannibalistischen Harpuniers Queequeg mit dem Erzähler und überzeugten Christen Ishmael, die ihre unterschiedlichen Glaubensrichtungen nicht nur respektieren, sondern sie sich auch noch gegenseitig nahebringen. Etwas, das beim Erscheinen des Romans viele Leser befremdet hat. Darüber hinaus gibt es noch weitere Themen.

Welche?
Obsession, Hierarchie, Autoritätsglauben oder Gehorsam, das sind Themen in „Moby Dick“. Im Zentrum steht das große Paar Ahab und Starbuck. Der Steuermann Starbuck, der Rationalist ist und eigentlich nur Walfang betreiben will, gerät in Konflikt mit dem besessenen Kapitän Ahab. Ahab frevelt Gott und treibt das Schiff in den Untergang, so sieht es der Steuermann. Damit stellt sich für ihn die Frage des Tyrannenmords. Einmal steht Starbuck sogar mit der Pistole in der Hand vor der Kajüte, macht dann aber doch einen Rückzieher. Er schafft es nicht, den Kapitän zu beseitigen, weil er sich dem christlichen Seefahrertum mit seiner strengen Hierarchie verpflichtet fühlt.

Wie wahrscheinlich ist eigentlich Melvilles Geschichte?
Es gab tatsächlich einen historischen Moby Dick, der Walfangschiffe angegriffen hat. Melville wusste davon und beschreibt das auch im Buch. Pottwale haben eine spezielle Physiognomie. Der Kopf nimmt ein Drittel des gesamten Körpers ein und ist vorne abgeflacht wie eine Wand oder ein Rammbock. Dazu gibt es auch ein Kapitel im Roman. Diese Abflachung, die nur aus Knorpel, nicht aus Knochen besteht, ist offenbar so hart, dass sie ein Walfangschiff rammen und zerstören kann. Der historische Moby Dick war allerdings nicht weiß. Weiß erscheint der Wal übrigens nicht, weil er ein Albino ist, sondern wenn sich aufgrund seines hohen Alters immer mehr Muschelkalk auf der Haut absetzt.

„Moby Dick“ | R: Frank Heuel | Mi 20.5.(P), Do 21.5. - Sa 23.5. 20 Uhr | Theater im Ballsaal | 0228 79 79 01

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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