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Szenefoto aus „Der Schmerz“, einer Produktion des theaterblackbox
Foto: Sebastian Linnerz

Nach dem KZ folgt die Scheidung

29. April 2011

„Der Schmerz“ von Marguerite Duras im EL-DE-Haus - Auftritt 05/11

Eine Frau foltert einen Mann. Genau beschreibt sie das Aufplatzen des weißen Fleisches und die blutigen Striemen auf dem Körper. „Ein Schlachtfest“, das sie zutiefst genießt und das sie damit rechtfertigt, dass das Opfer ein Nazikollaborateur sei. Das theaterblackbox bringt Marguerite Duras’ Text „Der Schmerz“ auf die Bühne und weist die Textpassage einer „Therapeutin“ zu, die ihren kleinen Vortrag mit einem Achselzucken beendet, bevor ein junger Mann sie von hinten liebkosend umschlingt.

Die folternde und die liebende Frau, beides war Marguerite Duras. Der Mythos dieser Schriftstellerin mag inzwischen verblasst sein, was bleibt ist die Radikalität, mit der sie ihr eigenes Leben in all seiner Ambivalenz zum literarischen Material gemacht hat. Ihr Buch „Der Schmerz“ veröffentlichte sie 1985. Der Text beschreibt, wie sie auf ihren 1944 ins KZ Dachau deportierten Mann Robert wartet. Sie gewöhnt sich an den Gedanken des Todes, auch weil sie inzwischen einen Liebhaber hat. Umso mehr ist sie überrascht und erschüttert, als Robert als lebender Leichnam zurückkehrt. Sie pflegt ihn, bis er wieder bei Kräften ist und lässt sich dann von ihm scheiden, um mit ihrem Liebhaber Kinder zu haben.

Multiperspektivisches Erzählen
Regisseur Heinz Simon Keller fächert den Roman in ein Bündel von Stimmen auf. Großmutter, Tochter, Enkelin, Therapeutin, Assistent sind die fünf Figuren benannt, die von dem Cellisten Emanuel Wehse mit Musik zwischen Bach und Barber begleitet werden. Der Gewinn liegt in einem multiperspektivischen Erzählen, das sich zudem in verschiedene historische Blickwinkel gliedert. Mit provokanter Wut berichtet die Enkelin (Elmira Bahrami) als junge Duras vom geliebten Großvater, der eine Fabrikstadt mit Schornsteinen und immer neuen Menschen, sprich: ein KZ leitet. Die Großmutter (Gerda Böken) als gealterte Schriftstellerin dagegen erinnert sich nicht, diesen Text je geschrieben zu haben. Dazwischen steht die Tochter (Susanne Seuffert), die eine Binde um den Leib trägt und auf den Tod Roberts geradezu besteht: „Er ist tot, sein Tod ist in mir.“ Die Brücke zwischen den drei Frauen bildet Renate Fuhrmann als Therapeutin, also Schriftstellerin. Sie positioniert die drei immer wieder neu und arrangiert damit letztlich die Erinnerung zum Text. Ihr zur Seite Zeljko Marovic als junger Assistent, der den Liebhaber aller Frauen spielt und Textfragmente an eine Tafel schreibt. Keller schafft so faszinierende Kurzschlüsse zwischen Duras’ Leben und ihren Texten. Fast unerträglich dann die Beschreibung der Rekonvaleszenz des 38 Kilo schweren KZ-Rückkehrers – in allen Details bis zum grünen Stuhlgang –, die die Frauen mit dem Wickeln von Binden unterlegen. Keller nimmt dem Text nichts von der Drastik, im Gegenteil. Die legeren grauen Kostüme und die dezente, Arena-artige Spielfläche im EL-DE-Haus geben den bedrückenden Details erst die Bühne für einen beeindruckenden Abend. Als der Heimkehrer endlich Hunger hat, heißt es lapidar: „Er funktioniert“. Mehr braucht es für die Scheidung nicht.


„Der Schmerz“ von Marguerite Duras I R: Heinz Simon Keller I EL-DE-Haus | Fr 6.5., Sa 7.5., je 20 Uhr | 0221 22 12 63 32

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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