Aus dem Nebel tauchen Erscheinungen auf. Zwei Porzellanpuppen auf Rollerblades oder gar Cyborgs auf der Flucht vor dem Bladerunner? Es folgt der Tanz der Geschlechter mit barocken Perücken und Tutus über silbrigen Trainingsanzügen. Eine präzise, sichtlich anstrengende Choreografie auf der kleinen Bühne im Kölner Theater im Bauturm eröffnet den Parforceritt durch die Selbstbefindlichkeit zweier junger Menschen am Rande der vermeintlichen Ökokatastrophe. Das Stück heißt „Atmen“, ist vom britischen Dramatiker Duncan Macmillan. Grundsätzlich geht es um ein junges Paar, das sich nach langem Abwägen des Für und Wider doch dazu entscheidet, ein Kind zu bekommen. Das lange Für und Wider ist die eigentliche Antriebsfeder der Handlung. Klar, Macmillan thematisierte vor fünf Jahren auch den Klimawandel, den CO2-Verbrauch, die Überbevölkerung, das Gift im Essen, schwierig zu inszenieren bleibt der Dauerdialog allemal, zu schnell ist die Brisanz verbraucht, die Dynamik zwischen Euphorie und Ernüchterung ein Stillstand.
Catharina Fillers Rollschuh-Version im kleinen Theater mit den Schauspielern Nadja Duesterberg und Martin Krah steht da eher als Perfomance im leeren Raum. Ikea, Wohnung, Wald oder Gerätschaften zur Stromerzeugung wird man hier nicht finden. Dafür viel Bewegung, Kreise, das Aufprallen an der harten Wand. Der „richtige Moment“ zum Kinderkriegen erzeugt Panik, aber eben auch bekannte Paranoia. Deine Eltern, meine Eltern. Techno Break. Skate-Dance. Das berühmte Für und Wider. Sie: Ich könnte sieben Jahre lang jeden Tag nach New York und zurück fliegen, und mein CO2-Fußabdruck wäre immer noch nicht so groß, wie wenn ich ein Kind kriege. Geschenkt. Die Welt hält das aus. Es gibt Menschen, die sollten keine Kinder kriegen, die Beiläufigkeit dieser Idee, lässt immer noch schaudern, wenn es sich bei Macmillan auch um Kaugummi kauende Mütter handeln soll.
Und dennoch, der Sex leidet bei zu viel Diskussion, so intellektuell wie man sich das auch erklären kann. „Menschen machen leicht gemacht“, das ist keine heilige Handlung, da muss am besten was Animalisches verborgen sein. Weil sie gute Menschen sind. Break. Skate-Dance. Die Schwangerschaft ist da, die Perücken fallen, die Geschlechter wechseln den Körper. ER ist schwanger, übernimmt IHRE Dialoge. Fillers Regieidee verhindert gekonnt das serielle Einerlei der Tanzeinlagen, die Welt ist dennoch nicht mehr so ganz in Ordnung. Werdend heißt noch nicht sein, noch nicht Eltern, aber schon Schwangerschafts-Psychos. Die Welt gerät dabei ins Hintertreffen, Skaten ist auch nicht mehr so toll. Gerade Ögünc Kardelens Musikkompositionen halten die Dramaturgie am Leben. Kind. Gefahr. Tod. Das Stück springt durch die Zeiten. Das Paar aus seiner Zweisamkeit. Tutus aus, das Bewegungsrepertoire verringert sich. Man trifft sich nach Jahren. Das Kind wird endlich geboren, doch um welchen Preis. Nebel. „Weil wir gute Menschen sind.“
„Atmen“ | R: Catharina Fillers | Sa 28.5., Do 9.6., Fr 10.6., Sa 11.6. 20 Uhr , So 3.7. 18 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Einfach nur hier performen
„Nowhere Man“ am Theater im Bauturm
Spam, Bots und KI
„Are you human?“ am Theater im Bauturm – Prolog 10/24
Die Grenzen der Freiheit
„Wuthering Heights“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 06/24
Erschreckend heiter
„Hexe – Heldin – Herrenwitz“ am TiB – Theater am Rhein 05/24
Schwarzblühende Bestie
„The Feral Womxn“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 02/24
Welt ohne Männer
„Bum Bum Bang“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 12/23
Weiter mit der Show
„Von Käfern und Menschen“ am TiB – Theater am Rhein 11/23
„Mein Bild für den Bauturm ist der Fliegenpilz“
Das Leitungsteam des Theaters im Bauturm zu dessen 40-jährigem Bestehen – Interview 10/23
„Die größte Gefahr liegt in der Vereinzelung“
Deborah Krönung über „Die unendliche Geschichte“ am Theater im Bauturm – Premiere 03/23
Die Ehre, sterben zu dürfen
„Leutnant Gustl“ am Bauturm-Theater – Theater am Rhein 02/23
Radikale Illusion
„Amphitryon“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 06/22
Was vom Leben übrig bleibt
„Die Frau, die gegen Türen rannte“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 03/22
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
Vergessene Frauen
„Heureka!“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 06/24
Freiheitskampf
„Edelweißpiraten“ in der TF – Theater am Rhein 06/24
Menschliche Eitelkeit
„Ein Sommernachtstraum“ in Köln – Theater am Rhein 06/24
Verspätete Liebe
„Die Legende von Paul und Paula“ in Bonn – Theater am Rhein 05/24