Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.584 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

„Cyrano de Bergerac“
Foto: Tommy Hetzel

Rücksicht und Zwang im Candyshop

28. April 2016

Simon Solberg inszeniert „Cyrano de Bergerac“ im Depot 1 – Theater am Rhein 05/16

Once in a lifetime. Ein schönes Bild. Cyrano und Roxanne, zwei Hiphop-Kids mit wohl barocken Roots. Sie fegen über die Bühne im Kölner Depot 1, immer zusammen und doch eigentlich aneinander vorbei. Da sind sie wie zwei Turntables, die sich nie mit der gleichen Geschwindigkeit drehen und deshalb erst im Stillstand (des Todes) zueinander finden. Edmond Rostands tragikomischer Held Cyrano de Bergerac glänzt mit Kutte und Rapper-Attitüde (und schnell sprechen kann Stefko Hanushevsky auch). Die Band, live und versiert, intoniert von Fanta4 bis MC Hammer, von Apache bis „Sabotage“ von Beastie Boys. Die Gascogner Kadetten heißen die fünf. Regisseur Simon Solberg, mit Hang zur Klassiker-Vernichtung, hat im Gegensatz zum Bonner „Woyzeck“ in Köln eine schöne „ich geb‘ Gas, ich will Spaß“-Adaption hinbekommen, die selbst ältere Semester in meiner Reihe etwas übermäßig flippen ließ. Mehr kann man in Köln kaum verlangen.

Also los, der Rapper Cyrano, ein drahtiger Haudegen mit etwas zu langer Nase, liebt Fechten, prügeln und Roxanne. Prügeln immer gern, wenn jemand etwas über seinen Zinken sagt, dann sitzt der Degen locker, locker waren sie eben, wohl auch die historischen adligen Gascogner Kadetten: „Sie raufen und lügen und wetten, Das sind die Gascogner Kadetten! Sie halten zusammen wie Kletten, Und lieben und zürnen im Nu.“ Man sieht, der Rhyme steckt schon drin in Ludwig Fuldas Übersetzung des Klassikers. Und weiter, ist das erste Bühnenbild noch ein Ghettoblaster mit Monsterlautsprechern, wird daraus die Bronx irgendwo in Frankreich. Roxanne verliebt sich blöderweise in den schönen Wham!-Song-Christian, der frisch ins Regiment kommt. Man findet sich, man zerwühlt nach Wirrungen die Matratze, Cyrano liefert die romantischen Skills im Hintergrund. Doch Graf Guiche, Befehlshaber der Kadetten hat auch ein Auge auf die junge Frau geworfen. Und so kommt es, wie es auf den Bühnen immer kommt, die Vierecks-Geschichte endet für alle tragisch, man weiß es ja schon vorher, Christian und Cyrano sind tot, Roxanne am Boden zerstört, der Graf desillusioniert. Das 17. Jahrhundert, so scheint es, war für den Adel in Frankreich beileibe kein Zuckerschlecken.

Als Musiktheater würde diese Depot-Inszenierung glücklicherweise nicht durchgehen, geschickt adaptiert Solberg aber mit bekannten Songs selbst aktuelle politische Ereignisse ins Bühnenbild. Die Belagerung der Kadetten wird so zum umzäunten Flüchtlingslager unter Flakscheinwerfern, in das Roxanne eindringt, um den sterbenden Ehemann zu sehen. Neun schwarz maskierte Statisten schieben dafür die Baustellengitter und Requisiten über die Bühne, viel Nebel wabert immer durch den Raum, und „Firestarter“ von Prodigy. Aber die Inszenierung hat noch eine weitaus interessantere Ebene. Die Sprache hat sich von den Körpern gelöst und führt fast ein Eigenleben, zwischen Rhyme-Machine und Rostand-Versmaß hat sie es schwer, immer für Verständnis zu sorgen. Das ist ein wirklich interessanter Aspekt dieser Solbergschen Hip-Hop-Beimischung, die vierzehn Jahre später final ihr Ende im klassischen Showdown im Kloster findet. Fly me to the moon.

„Cyrano de Bergerac“ | R: Simon Solberg | 8., 13., 21., 26., 31.5. 19.30 Uhr | Depot 1, Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Flucht auf die Titanic
„Muttertier“ am Schauspiel Köln – Prolog 03/24

Parolen in Druckerschwärze
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ am Schauspiel Köln – Auftritt 03/24

„Es wird ein Kampf um Vormachtstellung propagiert“
Rafael Sanchez inszeniert „Die letzten Männer des Westens“ am Schauspiel Köln – Premiere 03/24

Dunkle Faszination
Franz Kafkas „Der Prozess“ am Schauspiel Köln – Auftritt 02/24

Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24

Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24

„Der Roman lässt mich empathisch werden mit einer Mörderin“
Regisseur Bastian Kraft über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – Premiere 01/24

Ein Martyrium der Erniedrigung
„Kim Jiyoung, geboren 1982“ am Schauspiel Köln – Auftritt 12/23

Ohne Opfer kein Krimi
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Prolog 12/23

Ende der Zivilisation
„Eigentum“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 11/23

Verliebt, verlobt, verlassen?
„Erstmal für immer“ am Schauspiel Köln – Prolog 10/23

Des Königs Tod und des Müllers Beitrag
„Yazgerds Tod“ am Schauspiel Köln – Auftritt 10/23

Theater am Rhein.

Hier erscheint die Aufforderung!