„Der Bursche ist eine Katastrophe; das ist kein Grund, ihn als Charakter und Schicksal nicht interessant zu finden“, schrieb Thomas Mann einst in einem ironischen Essay über Adolf Hitler. Dieses Interesse ist auch im 21. Jahrhundert ungebrochen: Hitler sells – so viel steht fest. Im Pop zirkulieren gegenwärtig vermutlich mehr Bilder des Nationalsozialismus als jemals zuvor. Aber wie ist ein Adolf Hitler zu spielen? Einfühlend oder distanzierend? Als Monster oder als Mensch?
Fragen wie diese haben zwar unterdessen etwas Staub angesetzt, werden im Kulturbetrieb aber gerne auf Podiumsdiskussionen – wahlweise auch in Talkshows – geklärt, und so ist die Ausgangssituation von Theresia Walsers „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ schon mal eine gelungene kleine Realsatire: Drei Schauspieler warten auf den Moment, in dem’s losgeht mit der öffentlichen Rede über die Darstellbarkeit Hitlers.
Der sehr berühmte Franz Prächtel und der nicht ganz so prominente Peter Söst haben jenen „Burschen“ bereits gespielt, der junge Ulli Lerch war bisher nur als Goebbels zu sehen. Doch während sie über besagte Fragen streiten, geraten sie unversehens in eine Kontroverse über die Schauspielkunst und das Theater an sich – Werktreue trifft auf Regietheater trifft auf Performance. Im Bauturm hat Friedhelm Roth-Lange diese Konstellation nahezu puristisch inszeniert: ein roter Vorhang, drei Männer (oftmals in der Rückenansicht), ein paar Stühle und ein lädierter Tisch, der im Wechsel mit einer Flasche Mineralwasser zum Running Gag der Vorstellung wird.
Das Ensemble präsentiert sich in Spiellaune: Bauturm-Leiter Gerhardt Haag gibt facettenreich die Schauspieler-Diva Prächtel, die erkennbar Bruno Ganz zum Vorbild hatte. Ein Meister seines Fachs, aber unendlich eitel, in der Rolle aufgehend, aber irgendwie doch sozial gestört. Kai Hufnagel als Söst bewundert und verachtet den Kollegen zugleich, bildet gleichwohl Allianzen – mal mit dem einen, mal dem anderen. Der Jüngste in der Runde, Philipp Schlomm als Lerch, vertritt wacker eine Ästhetik, die auf Intermedialität setzt. Die Konflikte der drei sind amüsant und kurzweilig, kommen aber letztlich als eher zahnloser Tiger daher. Ein bisschen mehr intellektuelle Provokation hätte es schon sein dürfen.
„Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ von Theresia Walser | R: Friedhelm Roth-Lange | Theater im Bauturm | 8.-11.1. 20 Uhr | www.theater-im-bauturm.de
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