Steuerlast, Flüchtlingskrise, Sexualisierte Gewalt: Das Sprechen über Politik ist voll von Wortschöpfungen, die bei genauem Hinsehen mal ideologisch, mal absurd, aber nur selten neutral erscheinen. Nur wenige Akteure, etwa in den Medien, machen auf diesen Zusammenhang aufmerksam. So wird manchmal gefordert, das Wort „Flüchtling“ besser durch den Geflüchteten zu ersetzen – durchgesetzt hat sich das aber nicht. Das Thema ist auch in der Wissenschaft aktuell, wie das neue Buch von Elisabeth Wehling zeigt. Sie ist Linguistin, forscht in Berkeley und führt vor allem neurowissenschaftliche Erkenntnisse ins Feld. „Politisches Framing“ heißt das Phänomen und auch das Buch, das nun am Erscheinungstag im Herbert von Halem-Verlag vorgestellt wird.
Beim Vortrag darf von Anfang an mitgemacht werden. Es werden Begriffe vorgegeben und nach den ersten Assoziationen gefragt: „Last“ (Schwere, Bürde,...) und „Erleichterung“ (Entspannung, Erholung,...). Beides Begriffe aus der Steuerdebatte, wie man dann erfährt. Dass hier aber das Steuersenken mit etwas Positivem, die Erhöhung aber mit etwas Negativem verbunden wird, hat laut Wehling Auswirkungen. Bestimmte Areale im Gehirn werden aktiviert, und das jedes Mal und egal, wie wir zu dem Thema stehen. Wer die Begriffe eingeführt hat, ist zwar nicht mehr so klar. Aber undenkbar ist es nicht, dass sich eine Gruppe von Politikern mit einem ganz bestimmten Ziel eine Sprachregelung ausgedacht hat.
Denn das Framing ist bei Wehling vor allem ein Werkzeug, dessen man sich bedienen sollte – ja sogar muss. Ohne Frames zu kommunizieren, das ist nämlich schlicht nicht möglich. Das Gehirn entscheidet schließlich unbewusst darüber, welche Information wie eingeschätzt wird. Beispiele für den Erfolg des Framings werden auch genannt: die Wahlkampagne Barack Obamas habe sehr stark damit gearbeitet. Sein Misserfolg bei der Krankenversicherung lasse sich dagegen durch fehlendes Framing erklären.
Wie die Politik sich das genau zunutze macht, da könnte Wehling aus dem Nähkästchen plaudern – schließlich ist sie selbst als Beraterin für Politiker tätig. Stattdessen bietet sie sprachliche Alternativen an. Warum werden Steuern denn gezahlt und nicht dazu beigetragen? Schließlich profitieren wir alle auch von den Ausgaben des Staates.
Die neurowissenschaftlichen Grundlagen ihrer Arbeit stellt die Autorin anhand einiger kurzer Versuche vor. Das ist unterhaltsam, allerdings fehlt an mancher Stelle eine Einordnung. Nicht jeder gemessene Effekt beweist eine eindeutige Auswirkung. Studien zur tatsächlichen Wirkung der Sprache auf die politische Haltung jedenfalls stellt sie an diesem Abend nicht vor. Und auch ihr Lösungsvorschlag ist recht einfach: Reframing! Also das Gegensteuern mit dem selben Werkzeug. Da kommt aus dem Publikum dann auch der Kommentar, dass man das Ganze vielleicht auch eindämmen sollte. Was zumindest für Journalisten und Medien allgemein eine Überlegung wert wäre. Elisabeth Wehling stellt aus vielen unterschiedlichen politischen Bereichen im Buch Beispiele für politisches Framing vor. Das Suchen und Interpretieren macht schließlich auch dem Publikum in Mülheim so viel Spaß, dass am Ende Begriffe genannt werden können, die von der Autorin dann kommentiert werden. Die Diskussion um einzelne Begriffe wird auch nach der Veranstaltung noch rege fortgeführt.
Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht | Halem | 226 S. | 21 €
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