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„Ein Volksfeind“
Foto: Thilo Beu

Sumpf und Sachzwang

29. September 2011

Ibsens „Volksfeind“ ist das Stück der Stunde – Theater am Rhein 10/11

Warum stürzen sich die Theater zwar auf Ibsen, aber kaum auf diesen Text, der so den Nerv der Zeit trifft? Ein Badearzt deckt auf, dass das Wasser im Heilbad vergiftet ist, für dessen Lage neben dem Wasserkraftwerk sein Bruder, der Bürgermeister, verantwortlich ist. Zu allem Übel stammt das Gift auch noch aus der Gerberei des Schwiegervaters.

Der Grundkonflikt hat aber auch eine metaphorische Dimension, und das schärft Charaktere und Dialoge. Die Vergiftung hat die ganze Stadt erfasst: Der Badearzt und Bürgermeister kämpfen in ihrem politischen Positionen-Streit nicht nur die Wahrheit, sondern auch einen kindischen Bruderstreit aus. Der Druckereibesitzer fungiert zugleich als Herausgeber des „Volksboten“, von dem wiederum die zwei tonangebenden Journalisten abhängig sind. Berufsethos tritt dann schnell hinter Abozahlen zurück. Welche Macht hat die Mehrheit, und wie kann man sie beeinflussen? Welche Rolle spielt die Angst vor dem Verlust von Geld, sozialer Sicherheit und Ansehen? Wäre der Badearzt zu Beginn so forsch, wenn er sich nicht Ruhm verspräche? Während er gleichzeitig die meisten Menschen für so dumm oder verlogen hält, dass er von Ausrotten spricht? Es fällt seinen Gegnern nicht schwer, ihn offen „Volksfeind“ zu nennen.

Lukas Langhoff inszeniert mit einem mächtig aufgedrehten Ensemble und nimmt den Begriff der Fallhöhe der Figuren wörtlich. Alle streben gesellschaftliche Bedeutung an und gehen für jeden Billigsatz vor dem Mikrofon in Position, singen Arbeiterlieder zur Gitarre oder klettern eine Etage höher, auch wenn das nur mit reichlich lächerlichen Verrenkungen möglich ist. Es geht ums Dabeisein, ums Mitreißen, um die Inszenierung von Wirklichkeit. Stefan Preiss als Bürgermeister kriegt das so gut hin („Altwerden ist eine Leistung!“), dass das Publikum spontan klatscht. Die Charaktere sind vollkommen überzeichnet und kippen schon mal in die Knallcharge. Erstaunlicherweise hält der Abend dennoch die Balance. Am Ende feiert der gekündigte Badearzt mit der Familie am Plastiklagerfeuer, auf einer verstaubten DDR-Fahne zu PeterLichts Lied „Das Ende des Kapitalismus“: lustig, traurig, gefährlich, harmlos – tolles, einfaches Bild. Trotzdem zu versöhnlich.

Ein Volksfeind | R: Lukas Langhoff | 6./9./15./22.10., 19.30 Uhr | Theater Bonn, Kammerspiele, Am Michaelshof 9 | Tel.: 0228 77 80 08 | www.theater-bonn.de

CHRISTIANE ENKELER

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