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Arun Kundnani mit Stefan Weidner in der Christuskirche
Foto: Jan Schliecker

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14. Juli 2017

Pluriversale VI: Arun Kundnani über die politische Krise des Westens – Spezial 07/17

Am letzten Abend der sechsten Ausgabe der Pluriversale der Akademie der Künste der Welt war am Donnerstag Arun Kundnani in der umgebauten Christuskirche am Stadtgarten zu Gast und erklärte, vor 18 Jahren zuletzt in Köln gewesen zu sein. Damals, zur Zeit des Kosovo-Konflikts, habe er beim G8-Gipfel mitprotestiert.

„Wir konnten damals schon sehen, dass das ökonomische System, das in den 1990ern die Welt übernommen hat – man kann es Neoliberalismus oder Globalisierung nennen – die Art von politischer Krise produzieren würde, die wir im vergangenen Jahr sehr plastisch erlebten: erst mit dem britischen Brexit-Votum und dann im November mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten“, sagt Kundnani zu Beginn seines englischsprachigen Vortrags „Islamophobia and the Political Crisis of the West“.

Der politisch aktive Brite, der an der New York University lehrt und sich im politischen Spektrum links einordnet, forscht zum Krieg gegen den Terror, Rassismus, Bürgerrechte und Islam, was sich auch in seinen Buchtiteln widerspiegelt: „The Muslims Are Coming! Islamophobia, Extremism, and the Domestic War on Terror“ (2014) und „The End of Tolerance: Racism in 21st Century Britain“ (2007). Die aktuellen Krisenerscheinungen in der Weltordnung und innerhalb des Westens sind für ihn selbstverschuldete Ergebnisse einer Politik, die sich über die Jahrhunderte nicht grundsätzlich geändert habe. Um die Krise zu verstehen sei es nötig, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen, statt auf andere zu zeigen.

Alles kommt zurück

„Wenn wir uns den Aufstieg von rechtsextremen Bewegungen in Europa oder den Vereinigten Staaten anschauen“, sagt Kundnani, „sollten wir verstehen, dass es sich um Ergebnisse des eigenen Kolonialismus handelt.“ Genauso seien die Wahl- bzw. Abstimmungsergebnisse dem Krieg gegen den Terror geschuldet. Der Westen sehe es derzeit als seine Aufgabe, ein politisches, kapitalistisches System gegen Terror zu verteidigen, das die Probleme selbst hervorgebracht hat.


„Die Politiker können die Menschen nicht mehr überzeugen“, Foto: Roel Weenink

Wie wenig sich an der Haltung des Westens über Jahrzehnte und Jahrhunderte ändere, zeigte er am Beispiel des ehemaligen deutschen Konzentrationslagers Vught in den Niederlanden, in dem sein Großvater interniert gewesen war. Als Kundnani in jüngerer Zeit die Stätte besuchte, habe er festgestellt, dass nur eine Hälfte in ein Museum umgewandelt worden sei, die andere sei ein Gefängnis. „Dort halten die Niederlande jene Muslime, die sie terroristischer Verbrechen beschuldigt. Dort werden Geflüchtete, die als gefährlich erachtet werden, eingesperrt.“

Die liberale europäische politische Ordnung sei eingerichtet worden, um dem Faschismus und Nationalismus ein endgültiges Ende zu setzen – Faschismus sei als ein historischer Sonderfall gesehen worden. Dabei seien während des Krieges in Indien als „direktes Resultat des britischen Kolonialismus“ zwei Millionen Inder verhungert, gefolgt von einer weiteren Million Toten und über zehn Millionen Vertriebenen – „einschließlich mein Vater“ – bei der britischen Teilung Indiens im Jahr 1947. „Politische Gewalt in großem Maßstab war mit europäischem Kolonialismus engstens verbunden.“

Gift in den Adern Europas

Nach dem Krieg habe Aimé Césaire geschrieben: „Am Nazismus war nur ungewöhnlich, dass es dieselben Praktiken der Gewalt auf Europa anwandte, die zuvor auf Nicht-Europäer angewendet worden waren.“ So seien aus Mittätern Opfer geworden. Kundnani knüpft da an: „Es war die Idee des europäischen Kolonialismus, die das Vorbild für den Rassismus und die Gewalt des europäischen Faschismus lieferte. Der Kolonialstaat, wie der Nazi-Staat, entzog Bürgerrechte, betrieb Massenvertreibungen, sammelte Bevölkerungen in Lagern, betrieb Völkermord – alles organisiert durch Rassen-Kategorien.“ Das habe in den Europäern verborgene Instinkte und Rassenhass geweckt und moralischen Relativismus gefördert. Alles sei als „ein Gift in die Adern Europas übergegangen“.

Die „liberalen Eliten“ hätten diese Wurzeln des Faschismus aber nicht erkannt und sich die falsche Hoffnung gemacht, den Rechtsextremismus nach dem Krieg mit einem „liberalen Multikulturalismus“ an den Rand drängen zu können. Gewalt, die anderswo in der Welt ausgeübt werde, käme am Ende aber immer nach Hause zurück, und das gelte auch für heutige Formen des Kolonialismus wie das „rassistische Morden“ im Krieg gegen den Terror oder die Strukturanpassungsprogramme des IWF und der Weltbank. Dabei verwies er auf die Flüchtlingsströme aus bombardierten Ländern.


Kundnani beantwortet draußen weitere Fragen, Foto: Jan Schliecker

Bush, Obama, Trump

Dass die liberalen Slogans sich als „leere Hülsen“ erweisen, weil sie „Privilegien statt Prinzipien“ seien, mache den Erfolg der extremen Rechten aus, die nicht nur in ihrer Rhetorik „explizit“ mache, was in den Entscheidungen von Politikern und Managern schon existiere, sondern auch die Gewalt – den Terror – für sich instrumentalisiere, die die westlichen Institutionen indirekt zu verantworten hätten.

Auch Trump mache also nur „explizit“, was unter Bush und Obamba auch stattgefunden habe oder angedacht worden sei. So basiere Trumps Reiseverbot auf einer Liste aus Obamas Zeit und die geplante Grenzmauer sei nur eine „Dramatisierung“ der Politik beider politischer Parteien seit den 90er Jahren. „Auf diese Art hat Trumps Politik also Erfolg: indem sie die Verlogenheit der multikulturellen Plattitüden der Vereinigten Staaten für sich ausnutzt.“

Zu Teil 2: Schwerpunkt Islamophobie

Jan Schliecker

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