Moscheen gelten im Islam als spirituelle und sakrale Orte, die man im traditionellen Verständnis oft mit einer strikten Hierarchie assoziiert. Ein Beispiel: Die absolute Autorität in Glaubensfragen haben im Regelfall die Imame in den Moscheen. Was der Imam verkündet, gilt als „der wahre Islam.“ Dass kritisches Denken und Nachbohren der (muslimischen) Zuhörer*innen oftmals als verpönt angesehen werden, erklärt sich angesichts der absoluten Machstellung des Imams von selbst. Doch wir sollten uns darauf zurückbesinnen, dass ein Imam niemals unfehlbar sein kann. Es handelt sich bei ihm um keine göttliche Figur. Am Ende des Tages ist er genauso wie alle übrigensieben Milliarden nur ein Menschauf diesem Planeten. Daraus folgt, dass auch er Fehler machen kann. Die können sich auch auf Auslegungen des Koran und der Überlieferungen beziehen. Das ist natürlich kein Beinbruch – solange seine religiösen Deutungen niemanden physisch und psychisch schädigen, wird der liebe Gott mit Sicherheit über seine allzu menschlichen Fehlbarkeiten hinwegsehen und seine im Leben begangenen guten und schlechten Taten in den Blick nehmen.
Aber abgesehen davon, können wir dazu eine weitere Frage diskutieren: Wenn der Imam nun (selbstverständlich) ein Mensch ist und auch Fehler begehen kann, wäre daraus nicht die logische Konsequenz zu ziehen, dass er durch kritisch-denkende Menschen auch auf seine Fehlschlüsse hingewiesen werden darf? In unserer Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin haben unsere Imame und Imaminnen eine gewisse autoritäre Rolle, gerade wenn sie über Glaubensfragen predigen. Sie unterstehen jedoch der konstruktiven kritischen Gemeinde. Wir erkennen damit durchaus an, dass sie wissend, aber eben nicht allwissend sind – die Eigenschaft trifft nur auf den lieben Gott zu. Zudem sind unsere Imame und Imaminnenauch dankbar, wenn man sie auf bestimmte Schwächen hinweist, was letzten Endes auf eine Weiterentwicklung ihres Denkens und ihrer Persönlichkeit hinausläuft. Und genau das ist es, was wir heute in unserer globalen Welt brauchen: Denken, Hinterfragen, Weiterentwickeln.
Wieso sollte es deshalb nicht auch möglich sein, die Organisierung von Moscheen weiterzuentwickeln? Insbesondere vor dem Hintergrund, dass man in Gesellschaften mit demokratischen Prinzipien lebt, die eine wunderbare Ergänzung zur Organisierung von Moscheen beitragen. Beispielsweise werden Entscheidungen zu allen Veranstaltungen bei uns basisdemokratisch getroffen. Uns ist es wichtig, dass die Mehrheit der Gemeinde die Veranstaltungen versteht und mitträgt. Denn religiöse Veranstaltungen sind unter anderem unsere „Aushängeschilder“ und Darstellungen unserer religiösen Haltung nach außen. Natürlich können von den Gemeindemitgliedern immer wieder auch eigene Vorschläge eingebracht werden. Das macht eine lebendige und aktive Gemeinde aus. Je mehr Vorschläge gemacht werden, desto mehr Diskussionsbedarf besteht. Dies schreckt uns jedoch nicht ab, sondern hilft uns, uns gegenseitig zu verstehen und gemeinsam zu wachsen. Und natürlich darf eines der wichtigsten demokratischen Werte keinesfalls fehlen: Die Gleichberechtigung! Bei uns wird niemand aufgrund seines Geschlechts bevorzugt oder benachteiligt, weder in demokratischen Abstimmungen noch in der Tätigkeit als Imam*in. Sowohl Männer als auch Frauen können bei uns vorbeten. Dies steht nicht im Widerspruch zum Islam.Genauso pflegen wir ein inklusives Islamverständnis, mit dem wir Menschen in unserer Mitte willkommen heißen, die eine andere sexuelle Orientierung haben als der „Mainstream“ der heterosexuellen Gesellschaft. LGBTIQ-Muslime sind daher absolute gleichberechtigte und wichtige Mitglieder unserer Gemeinde. Wir öffnen unsere Tür und unsere Herzen für alle Menschen, die in Freiheit, Frieden und selbstbestimmt leben wollen. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass dies nur ein kleiner Einblick in die demokratische Organisierung der Ibn Rushd-Goethe Moschee ist, um ein progressiveres Moschee-Bild vorzustellen.
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