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Die Islamophobie, letztendlich begründet in der Geschichte des westlichen Imperialismus, ist für Arun Kundnani eine Art von Rassismus, die auf kulturellen Merkmalen von Muslimen basiere und sich nicht wesentlich von anderen Formen von Rassismus unterscheide. Muslime würden im Einklang mit einer „langen Geschichte von Rassismus“ in den USA und Europa zu einer Art Rasse stilisiert. Die Menschen würden ihnen feste Eigenschaften zurechnen, statt sich mit historischen Bedingungen zu befassen, an denen der Westen einen großen, verdrängten Anteil habe. Die eigene imperialistische Gewalt, die nun an den Absender zurückginge – Kundnani sprach auch von einem „Boomerang-Effekt“ – würde als eine „angeborene Aggressivität“ auf die Muslime „projiziert“. Das erlaube es den Menschen im Westen, ein „Selbstbild der Unschuld und Wohltätigkeit“ zu pflegen und die „Konflikte, die ein globaler Kapitalismus generiert“, auszublenden.
Islamophobie – nicht zu verwechseln mit sachlichen Debatten und „Kritik an islamischen Glaubensvorstellungen“ – rechne die Handlungen von Terroristen in jedem Fall automatisch ihrer Wesensart zu. Außerdem gebe es wie beim Antisemitismus das Gefühl einer Verschwörung von oben (z.B. Obama als heimlicher Muslim) und der Gefahr einer „Verunreinigung des sozialen Körpers“ von unten. „Antisemitismus verbindet echte Frustrationen und Wünsche, die die Massengesellschaft produziert, leitet sie aber weg von ihrer wahren Ursache in der Gesellschaft auf diesen jüdischen Feind, von dem wir annehmen, dass er irgendwie die Welt zu kontrollieren fähig ist.“
Auflösungserscheinungen im Neoliberalismus
Dass in den Ländern des „globalen Südens“ seit den 70er Jahren der Markt zum bestimmenden organisierenden Prinzip geworden sei (Karl Polanyis „Great Transformation“), zerstöre überall den sozialen Zusammenhalt und nötige die Regierungen zu stärkerem Durchgreifen. „Um ihren Autoritarismus zu legitimieren, treten sie mit einem ethnischen Nationalismus hervor, was ethnische Konflikte und Vertreibungen befeuert.“ Daher rühre die Flüchtlingskrise.
„Derselbe Neoliberalismus, der erst dem globalen Süden aufgebürdet wurde, wurde seit den 1970er Jahren auch auf Europa und die Vereinigten Staaten übertragen.“ Seit Ende des Kalten Krieges würden auch diejenigen Länder ins Wanken kommen, die sich noch längere Zeit auf ältere sozialdemokratische Werte besonnen hätten. Politisch sei man sonst in einem gemäßigten Staatsmanagement à la Blair und Clinton angekommen, die den „neoliberalen Slogan akzeptiert, dass es keine Alternative gibt“. Großfirmen würden über ein „leeres, konformistisches und verlogenes öffentliches Leben“ dominieren, während starke Ungleichheit herrsche.
In den USA habe die öffentliche Meinung schon länger keinen Einfluss mehr auf die Politik (Studie von Martin Gilens und Benjamin I. Page, 2014). „Die Politiker können die Menschen daher nicht mehr überzeugen, dass das System etwas tun kann, um ihren Wohlstand zu erhöhen. Stattdessen leitet sich der Erfolg bei Wahlen zunehmend von deiner Fähigkeit ab, Feinde zu benennen, Geschichten über bedrohte Sicherheit zu erzählen“, so Kundnani. „Das Bürgerrecht wird darauf reduziert, dass Weiße gemeinsam als Opfer dastehen, wodurch viel Nährboden für die extreme Rechte entsteht.“ Die würde einen Klassenkampf als einen Rassenkonflikt verkaufen, der die Gesellschaft über Ängste zusammenzuhalten versuche. Zugleich hätten sich die Institutionen in der Finanzkrise von 2008 als unfähig erwiesen, die Menschen vor den Auswirkungen des Kapitalismus zu schützen.
Muslime politisch und sozial einbinden
Es müsse nun darum gehen, Menschen, die der Islamophobie ausgesetzt sind, eine „gleichberechtigte Partizipation am demokratischen Prozess“ zu ermöglichen. Die kulturellen Unterschiede seien nur Ausdruck sozialer und politischer Antagonismen. „Die Frage ist nicht, ob muslimische Kultur mit europäischen Werten vereinbar ist, sondern wer entscheiden darf, was Europa bedeutet (…), nicht ob Muslime in Europa integriert werden können, sondern wie Europa in den Rest der Welt integriert werden kann, angesichts seiner nicht völlig eingestandenen Geschichte von Kolonialismus und Sklaverei.“ Flüchtlinge müssten verteidigt werden, „nicht nur, weil sie Opfer sind, sondern weil sie das Wissen um unsere vergangenen Fehlschläge mit sich tragen. Wir müssen ihnen erlauben, uns etwas über uns selbst beizubringen.“
Beantwortung von Fragen
Im Gespräch mit seinem Kölner Kollegen Stefan Weidner und mit dem Publikum stimmte Kundnani zu, dass der im Zweiten Weltkrieg verwurzelte und daher der Kolonialgeschichte nicht gerecht werdende „Gründungsmythos“ Europas und vieler Länder überdacht werden müsse. So stünde Nazismus weder in der europäischen Geschichte, noch in der deutschen als Einzelfall da. „Nazismus kann man nicht verstehen, ohne die Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika zu verstehen. Und die Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika kann man nicht verstehen, ohne den Kontext des gesamten europäischen Kolonialismus in Afrika.“ Ein politisches Umdenken in Europa dränge sich aber ohnehin wegen des ungerechten ökonomischen Systems und der Flüchtlingskrise auf. „Die EU ist verantwortlich für den Tod abertausender Menschen an der Grenze.“ Ein neues Denken sei durchaus schon im Gange.
Dass man immer bei den anderen nach Ursachen suche, bedauerte er. Er schreibe daher über Großbritannien und die USA und nicht über die „islamische Welt“. So solle man, um etwa den 11. September zu verstehen, nicht den Koran kaufen, sondern ein Buch über die CIA. Menschen aus den Ländern, in denen sich die Fehler der Vergangenheit manifestieren, seien am besten in der Lage, diese Vorgänge, die mit politischer Ohnmacht zu tun hätten, zu erklären. In Europa würde man sie aber gar nicht anhören und mit ihnen diskutieren. Auf Frauen angesprochen, sagte er, dass sie es besonders schwer hätten, weil sie neben dem Rassismus noch mit Unterdrückung in der eignen Gruppe umgehen müssten.
Die beste Solidarität mit Benachteiligten bestünde für ihn nicht in direkter Hilfe, sondern darin, sich am eigenen Ort „mit dem System zu beschäftigen, unter dem wir alle leiden“.
Pluriversale-Planungen
Die Pluriversale VI mit dem Titel „Die alte Linkte und die neue Rechte“ ist nun – von einem Treffen der Lesegruppe abgesehen – vorbei. (Unser Bericht zu Terre Thaemlitz und „Deproduction“ folgt.) Die siebte Pluriversale, „Stealing from the West“, wird am 20. September unter der künstlerischen Leitung von Ekaterina Degot im Academyspace mit einer Ausstellungseröffnung anlaufen, gefolgt von einer Gala-Eröffnung mit vollem Programm im Stadtgarten am 29. September.
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