Schon beim Eröffnungsstück von Helge Schneiders Show in der fast ausverkauften Bonner Beethovenhalle war klar, dass dem Publikum ein vergnüglicher Abend bevorstehen würde. Es gab nicht Reis, sondern „Fitze Fitze Fatze“ mit einer Moonwalk-Einlage Schneiders und einem „Schlagzeugsolo“ wie in alten „Hardcore“-Zeiten: Unmittelbar nach der Aufforderung zum Solo erteilte der Maestro seinem Schlagzeuger sofort das Schluss-Kommando.
Nach wie vor beherrscht Schneider meisterhaft die Kunst des gekonnten, absichtlichen Verstolperers und Verspielers. Da hat die Band gefälligst – bei Androhung von Strafgeld – mitzuziehen. Keine Frage, dass die gestandenen Musikanten Sandro Giampietro (E-Gitarre), Rudi Olbrich (Kontrabass) und Willy Ketzer (Schlagzeug) dazu in der Lage sind. Man muss sein Instrument schon gut beherrschen, um so sauber falsch spielen zu können. Unübertroffener Meister darin bleibt der Bandleader himself, der Klavier, Orgel, Vibraphon, Gitarre und Horn bedient, und auch noch diverse andere Instrumente spielt, die während des Bonner Konzerts nicht zum Einsatz kamen.
Die Band als Pflegestation
Der alte Jazzer und Improvisator Schneider hat sichtlich Spaß daran, mit seinen in ihrer Urversion häufig recht einfach strukturierten Stücken rhythmische und melodische Expeditionen ins Unbekannte zu unternehmen. Was seine Band wiederum jedes Mal in gespannte Aufmerksamkeit versetzt: Wann ist der Chef mit seiner ausschweifenden Text- und/oder-Musikimprovisation fertig, wann kommt der nächste Einsatz? So funktionierte er etwa „Texas“ zum Medley um und gönnte sich dabei ein paar schräge Ausflüge zu Klassikern wie „Yesterday“.
Ebenfalls analog zu alten „Hardcore“-Zeiten müssen seine aktuellen Mitmusiker und der Tee servierende „Butler“ Bodo Ö. auf der „Buxe voll“-Tour immer mal wieder als Watschenmänner herhalten. Insbesondere Kontrabassist Rudi Olbrich scheint in dieser Hinsicht die Rolle von „Hardcore“-Schlagzeuger Peter Thoms übernommen zu haben, denn er hatte regelmäßige Anspielungen auf sein schon etwas fortgeschrittenes Alter („Hast du deine Tabletten genommen?“) zu erdulden. Das sei ja hier, so Schneider ans Publikum gewandt, eine ähnliche Situation wie bei Heesters, und könnte womöglich das letzte Konzert sein: „Deswegen kommt ihr doch alle!“ Nichtsdestoweniger gebe es mit der Band schon eine echte Freundschaft, „oder eher: eine Pflegschaft“. Auch Gast-„Star“ und -Saxonfonist Tyree Glenn jr. bekommtsein Fett weg: Ihn habe er „im Geräteschuppen entdeckt“, nachdem er „vor 35 Jahren als Witzeerzähler aus den USA ausgewiesen“ worden sei.
Ausgefeilte Persiflage
Zwischen den Liedern hat Schneider natürlich wieder jede Menge Quatsch zu erzählen oder erfindet aus dem Stegreif. Wobei das Prinzip, Erwartungen zu unterlaufen und nicht den naheliegenden Weg zur (Anti-)Pointe zu wählen, sondern gerne einen möglichst weit hergeholten und absurden, nach wie vor funktioniert. Auch seine Formatpersiflagen zünden immer noch: ob er das zwischen Großspurigkeit, Pathos und Anbiederei changierende Entertainer-Gehabe US-amerikanischer Provenienz karikiert oder besonders expressive musikalische Idiome wie den Flamenco oder den Blues. Das scheinbar Erhabene kippt bei ihm ganz schnell ins Banale und Komische.
So reicht es bei einer Blues-Parodie schon, dass dieser Musik eigene Prinzip der häufigen Wiederholung und Bekräftigung von Phrasen ein wenig zu übertreiben: „I was born, yeah I was born, I was born [etc.]“ – und dann aber nicht „under a bad sign“ oder „in Memphis, Tennessee“ oder andere Blues-typische Orte zu röhren, sondern: „I was born – as a baby.“
An einen kürzlich verstorbenen hiesigen Großmeister der Komik erinnerte dagegen eine von chinesisch anmutendem Gitarrengeplinker unterlegte Nummer, die Schneider allein – auf einer Barhocker-Parodie sitzend – vortrug. Alltägliche Situationen wie Restaurantbesuche schräg zu überdrehen und in erhellenden Nonsens zu überführen, dabei ein paar typisch menschliche Unarten wie die allgegenwärtige Heuchelei en passant abzuhandeln, das hat Loriot in seinen zu Recht gerühmten, legendären Sketchen mit Kosakenzipfeln, verhedderten Rouladenfäden sowie aufdringlichen Kellnern und Gästen grandios vorexerziert. Helge Schneiders Gespräch eines Ehepaars im „China-Restaurant Akropolis“ steht dem in nichts nach. Der chinesischen Bedienung gegenüber bedauert man das kürzliche Ableben eines ihrer Verwandten, doch als man erfährt, dass es relativ kurz und schmerzlos verlaufen sei: „Dann tut uns das nicht Leid. Dann nehmen wir das zurück.“ Zum Essen reiche ihm im Übrigen ein Stäbchen, aber ein großer stabiler Stab sollte es bitte schon sein. Und nachdem beide einige Tische weiter ein bekanntes Paar gesehen und mit demonstrativ freundlichen Winken und Rufen begrüßt haben, ziehen sie danach in gedämpftem Tonfall über die „aufgetakelte“ Frau her. Konsequenz: „Hier können wir nicht mehr hingehen.“
„Das Leben ist kein Wunschkonzert!“
Gegen Ende der mehr als zweistündigen Show forderte ein offensichtlich schon etwas angetrunkener Zuschauer mehrmals lautstark das Lied „Dein ewiges Nein geht mir auf den Sack, du Sau“, worauf er sich eine Belehrung des Entertainers einfing, die man außer Helge Schneider wohl kaum jemandem als lustigen Gag durchgehen lassen würde: „Das Leben ist kein Wunschkonzert“. Als der Zwischenrufer immer noch keine Ruhe geben wollte, kam prompt ein – donnernd beklatschter – Gegenzuruf aus dem Publikum, er möge nun doch endlich seinen Rand halten. Steilvorlage für Helge: „Aha, das Volk beginnt sich zu wehren. Revolution!“
Helge Schneiders (Anti-)Komik ist in ihrer Vielseitigkeit, ihrer Schlagfertigkeit und ihrer Verbindung von Kunst und Quatsch hierzulande nach wie vor singulär. Es war mal wieder an der Zeit, sich davon zu überzeugen. Wer weiß, wie lange die Band-Pflegschaft noch besteht.
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