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„Eumeniden“
Foto: Wolfgang Weimer

Überzuckerte Aktualisierung

26. Oktober 2011

Aischylos’ „Eumeniden“ in der Studiobühne – Theater am Rhein 11/11

Ein Dekadent verirrt sich in den Mythos. Orest läuft das Blut über den Oberkörper, er stellt die abgeschlagenen Köpfe seiner Mutter und ihres Liebhabers auf, sieht die Rachegöttinnen, die Erinnyen, herannahen – und bleibt die Ruhe selbst. Sprache und Emotion führt er am straff-ziselierten Zügel. Ein Schöngeist, der nur aus Versehen Schlabberhose zu nackter Brust trägt. Die vier jungen Frauen in schwarzen Kutten, die sich auf Äste stützen, wirken mit ihrem pathetischen Gegrummel und Geächze dagegen wie Esoterikerinnen in Urgrunztherapie. Dass sie Orest als Mörder seiner Mutter Klytemnästra und ihres Beschälers Ägisth in den Wahnsinn treiben wollen, ist eher ein schlechter Witz. Den Mann bringt nichts aus der Ruhe – der geborene Politiker.

Kostas Papakostopoulos und das Deutsch-Griechische Theater bringen „Die Eumeniden“ auf die Bühne, den Schlussstein der „Orestie“ von Aischylos, der das blutrünstige Verhängnis der Atridenfamilie beendet. Apoll und Pallas Athene entreißen den Muttermörder den Klauen des Mythos’ und stellen ihn vor ein Bürgergericht in Athen, wo er freigesprochen wird. Das Stück gilt als Geburtsurkunde der griechischen Demokratie. In der Studiobühne allerdings zerfallen die „Eumeniden“ in eine Folge einzelner Bilder, ohne dass der dramatische Zusammenhang sichtbar würde. Die schwarz gekleideten Eumeniden oder Erinnyen stehen hier für eine angeblich verabschiedete Tradition, deren Restzuckungen zwar noch zu vernehmen, aber nicht mehr ernstzunehmen sind. Zweckrationalität ist der rote Läufer gegenwärtiger Existenz, und niemand verkörpert das besser als Pallas Athene. Mit grauem Kostüm, Aktenkoffer und kommandohaft knappen Worten ist sie die Sprache gewordene Effizienz. Ein bisschen Hedonismus darf auch sein: Apoll im grünen Jackett mit Stöckchen stolziert geckenhaft als Parteigänger seiner Götterkollegin daher. Dass Orest nach seinem Freispruch mit Heißluft-Politsprech von Integration der Erinnyen in die Gesellschaft, von Wichtigkeit der Tradition faselt, ist dann nur noch die überzuckerte Zierkirsche einer Aktualisierung, die Aischylos auf zu einfache Weise für die Gegenwart dienstbar zu machen sucht – da ist die Inszenierung in ihrer interpretativen Funktionalisierung nicht weit von dem entfernt, was sie kritisiert.

„Eumeniden“ | R: Kostas Papakostopoulos | Studiobühne | 24.-27.11., 20 Uhr | 0221 470 45 13

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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