Die Liebe ist ein seltsames Spiel, und ihre Nichterfüllbarkeit führt zu extremen Situationen. Regisseur Lothar Kittstein hat in der Bonner Halle Beuel aus dem bereits mehrfach verfilmten Roman „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald eine stark reduzierte Fassung destilliert, welche eine Handlung auf grobe Muster verlegt, die sich eigentlich mehr dem Agieren im nicht vorhandenen Interieur als der eigentlichen Geschichte verschreibt. Gesellschaftskritik ist weg, dafür wird der Tatbestand der Nutzlosigkeit gespiegelt. Dekadenz in der Postmoderne heißt schicke Immobilien, schicke Klamotten und schicke Handys. Was geblieben ist, ist eine Small-Talk-Schicht, deren Themen ebenso uninteressant sind wie zu Zeiten Fitzgeralds.
Über die Theaterbühne voll raumloser Ortlosigkeit, die Rückwand ein Spiegel, der die scheinbaren Zufälligkeiten und die Besucher doppelt, taumelt Nick, der junge Nachbar des großen Gatsby wie ein erzählender Geist durch die Handlung. Er ist Investment-Banker, Cousin zweiten Grades von Daisy, die im Ersten Weltkrieg lieber den Millionär Tom Buchanan heiratete als ihre große Liebe Jay Gatsby. Der beginnt nun selbst, Reichtum anzuhäufen, wobei nie klar wird, wodurch. Ein gewisser Wolfsheim geistert durch die Szenerie und verbreitet zusätzlich Verwirrung. Der Selfmademan Gatsby scheint durch illegale Softwarekopien reich geworden zu sein, sein Geschäftspartner Meyer Wolfsheim (Günter Alt) wohl durch manipulierte Sportwetten. Schließlich solle „man sich um sein Geld kümmern, es nicht den Banken überlassen“. Kittstein überwindet so mühelos fast ein Jahrhundert Strategien des Kapitalismus. Ständig bimmeln Handys: Zeichen überaus wichtiger Geschäftigkeit, sie unterbrechen Gespräche, schaffen Leerstellen, mit denen das Stück schon angefangen hat. Die Schauspieler wechseln die Kostüme sichtbar in der ersten Reihe, starren extrem lange lautlos ins Publikum und versammeln sich dann auf der Bühne, um den Reigen um Renommee und Liebe, um Geld und Wahrheit zu beginnen. Ohne Requisiten, nur Bänke stehen da einsam herum: eine grandiose farblose Blaupause des bunten Jahrhundertromans, bei der die großen Auseinandersetzungen beiläufig, selbst der Tod nur hinter Milchglas stattfindet. Gatsby zieht dort einfach seinen Anzug aus.
Hendrik Richter spielt den ewig Unglücklichen in durchtrainierter Managermanier, der immer dann, wenn es um seine Jugendliebe Daisy (Nina Tomczak) geht, ziemlich unsicher wird. Er würde seinen gesamten Besitz gegen sie tauschen, doch scheint sie das in Kittsteins Inszenierung irgendwie nicht wert zu sei. Hier ist die Wirklichkeit nicht wirklich, die Personen sind nur Spiegelungen der Romanhelden,
selbst die Liebe scheint sich dem Schein hingegeben zu haben, Gatsby wird nie über die distanzierte Auseinandersetzung herauskommen, nicht einmal bei der Konfrontation mit Tom und Daisy. Fitzgeralds Roman wird am Schluss als Blattwerk von der Windmaschine über die Bühne geblasen, ein Jahrhundertwerk in Fetzen, aber ein sehenswerter Theaterabend.
„Der große Gatsby“ I Mi 11.1., 19.30 Uhr I Halle Beuel Bonn I 0228 77 80 08
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