Die Beobachterin, die bei Deportationsvorgängen darauf achtet, dass die Menschen anständig behandelt werden, hat keine Illusionen: „Träume von Veränderungen habe ich mir abgeschminkt.“ Er begleite Leute bei der Heimreise, sagt der junge Orthopäde, der sich für den Nebenjob über psychische Traumata schlau gemacht hat. Das Wort „Abschiebung“ klingt so unschön. Die Sachbearbeiterin, die es im Ausländeramt spannender findet als beim Gebäudemanagement, zollt den „Kunden“ Respekt, indem sie auf sprachliche Korrektheit achtet und weiß, dass man das, der oder einfach Kosovo sagen könne. „Das sind Paragraphen“, konstatiert der auf Abschiebungen spezialisierte Anwalt. „Paragraphen, an denen Menschen hängen.“
Mit diesen vier Nebenfiguren bringt Björn Bicker einen authentischen, nüchternen Ton in sein Drama. Ein gutes Gegengewicht zur Tragik der Geschichte um die junge Romni Elvira, die mit ihren Eltern und dem seelisch verwundeten kleinen Bruder in einer Nacht- und Nebelaktion nach Pristina ausgewiesen wurde. Da sitzt die 16Jährige, vermisst sogar die Normalität einer Mathearbeit – und ihren Freund. Der rebelliert derweil gegen seinen Pilotenvater, der auch solche Abschiebungsflüge durchführt.
Die politische Haltung des Stückes ist eindeutig; das Leid jener Menschen, die an den Paragraphen hängen, wird plastisch. Distanz, auch für eigene Gedanken, wird dadurch erzeugt, dass die Bühne durch Mittel wie Mikrofone oder Texteinblendungen explizit Theaterraum bleibt, und dass alle Darsteller drei Figuren zu spielen haben. Eindrucksvoll gleiten Mirka Flögl, David N. Koch, Susanne Kubelka und Christoph Wehr hin und her, sind dann aber mit großer Intensität ganz in der jeweiligen Rolle. Überhaupt legt Regisseur Gerhard Roiß Finger in Wunden, reizt emotionale Punkte. Die Klagelieder, die das „Abschiebungsensemble“ anstimmt, der Einsatz von aufwühlender Musik (Komposition: Susanne Kubelka) zielen unbeirrt ins Epizentrum der Gefühle. Entziehen kann man sich kaum. Es ist das Verdienst dieser Inszenierung, dass sie einen mit Unwohlsein im Bauch entlässt und den „Problemfall Roma“ nicht nur auf neutraler, intellektueller Ebene verhandelt.
„Deportation Cast“ von Björn Bicker | R: Gerhard Roiß | Theater im Bauturm, Köln | 15./17./18./29.-31.5. 20 Uhr/16.5. 19 Uhr | www.theater-im-bauturm.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Spam, Bots und KI
„Are you human?“ am Theater im Bauturm – Prolog 10/24
Die Grenzen der Freiheit
„Wuthering Heights“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 06/24
Erschreckend heiter
„Hexe – Heldin – Herrenwitz“ am TiB – Theater am Rhein 05/24
Schwarzblühende Bestie
„The Feral Womxn“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 02/24
Welt ohne Männer
„Bum Bum Bang“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 12/23
Weiter mit der Show
„Von Käfern und Menschen“ am TiB – Theater am Rhein 11/23
„Mein Bild für den Bauturm ist der Fliegenpilz“
Das Leitungsteam des Theaters im Bauturm zu dessen 40-jährigem Bestehen – Interview 10/23
„Die größte Gefahr liegt in der Vereinzelung“
Deborah Krönung über „Die unendliche Geschichte“ am Theater im Bauturm – Premiere 03/23
Die Ehre, sterben zu dürfen
„Leutnant Gustl“ am Bauturm-Theater – Theater am Rhein 02/23
Radikale Illusion
„Amphitryon“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 06/22
Was vom Leben übrig bleibt
„Die Frau, die gegen Türen rannte“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 03/22
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater am Rhein 01/25
Ausweg im Schlaf
„Der Nabel der Welt“ in Köln – Theater am Rhein 01/25
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24