Die Aktualität von Kleists „Michael Kohlhaas“ liegt für Irene Schwarz, eine der Gründerinnen des N. N. Theaters, „förmlich auf der Straße“. Die Geschichte vom Rosshändler, dem ein Unrecht geschieht, das von der Bürokratie eines korrupten Staates noch vervielfacht wird, besitzt zumindest als warnendes Beispiel dauerhaften Gegenwartsbezug. Zumal Heinrich von Kleist in diese Gestalt all sein phänomenales Wissen um die psychologischen Mechanismen des Narzißmus eingebracht hat. Schon lange wollte das in Köln ansässige Theater, das sich die meiste Zeit des Jahres auf Tournée durch Deutschland befindet, den Stoff dieser Novelle dramatisieren. Die Zeit zur Reife sieht man dieser Inszenierung, die jetzt im Friedenspark ihre Köln-Premiere feierte, auf erfreuliche Weise an.
Lange hat das N.N. Theater einen Stoff nicht mehr so konzentriert und konsequent zubereitet wie diesen „Michael Kohlhaas“. Sicher geht es burlesk zu, den Ausgangspunkt der Story bildet eine Fahrradwerkstatt, da die Rappen aus der literarischen Vorlage in Drahtesel verwandelt werden. Zu Fahrrädern fallen dem Ensemble Schläuche und Gummireifen ein. Gummi findet sich in der Ausstattung dann oftmals wieder, in den Outfits auf der Burg des Junker von Tronka, wo kräftig Bunga Bunga betrieben wird und den Peitschen, mit denen Knecht und Pferde malträtiert werden. Im Spaß bleibt der Sadismus der Bosheit immer spürbar.
Das passt zur Geschichte des Rosshändlers Michael Kohlhaas, der im 16. Jahrhundert in das Räderwerk von von Adel und Bürokratie geriet. Kohlhaas zieht brandschatzend durchs Land, bekommt schließlich sein Recht, wenn er dafür auch mit seinem Leben bezahlen muss. Das Regiegespann Ute Kossmann und George Isherwood streicht diesmal viele Albernheiten, in denen sich das ehemalige Straßentheater in der Vergangenheit mitunter gerne verlor. Der bitteren Note des Stoffs geht man nicht aus dem Wege, sondern konfrontiert sie effektvoll mit der burlesken Komik, auf die sich die Truppe so glänzend versteht. Die fünf Schauspieler (Irene Schwarz, Christine Per, Bernd Kaftan, Tom Simon und Michl Thorbecke) agieren mit breiter Brust, hier sitzt jede Pointe und die Szenenwechsel auf der Freilichtbühne greifen wunderbar ineinander. Das Publikum des N.N. Theaters reagiert begeistert auf die dramaturgische Kurskorrektur, die man mit dem „Michael Kohlhaas“ vorgenommen hat. Die Komik ist gut gesetzt, aber das Schenkelklopfen ist entbehrlich, wenn so wie hier Ideen, Erfahrung und Konzept effektvoll ausgereizt werden.
Nächste Vorstellungen: 9.8. Dülmen, Marktplatz. 11.8. Plettenberg, Marktplatz. 13. 8. Dahner Felsenland, Burg Altdahn. 19. 8. Bocholt, Marktplatz.
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