Die Köpfe gesenkt, ein Lallen auf den Lippen, ansonsten mentale Abwesenheit. Das ist das Bild einer ganzen Generation, die hinter ihren Smartphones zu verschwinden droht. Melanie Delvos präsentiert es gleich in der Eröffnung ihrer Inszenierung „#Baklava“, die sie mit dem Jugendclub der Comedia erarbeitet hat. Jugendclub klingt nach pädagogischem Bemühen. Davon ist in dieser Produktion nichts zu spüren, denn die Kids legen sofort den Hebel um, keine Unsicherheit, jeder spielt aus seinem Zentrum heraus. „#Baklava“ dockt an die aufwändigere Produktion „Methode Baklava“ an, in der die Mütter mit Migrationshintergrund von ihren Freuden und Leiden in Deutschland erzählen.
Hier kommen die Jugendlichen zu Wort, die die kleinen, elektronischen Geräte als ihre nützlichen Helfer betrachten, um sich dem Kontrollblick ihrer Eltern zu entziehen. Sie machen in dieser Inszenierung Werbung für Smartphones und MacDonalds ohne ihren kritischen Blick auf diese unterschiedlichen Versionen der Unterhaltungsindustrie zu verlieren. Das Theater funktioniert hier perfekt als Medium der Reflektion. Whats App und YouTube kann man mit keiner anderen Kunst so treffend aufs Korn nehmen, wie mit dem alten Theatermedium. Selbstproduzierte Videoeinspielungen im schnatternden Tonfall der YouTubies lenken nicht von der Bühne ab, sondern führen wieder zu ihr zurück. Jeden der sechs Teenager (Havva Sümbül Baran, Aslihan Maydan, Alessa Genske, Miriam Reiter, Leutrim Puka, Jupica Hrustic), die aus der Türkei, Deutschland, Albanien und der Gemeinschaft der Sinti und Roma stammen, lernt man kennen und doch wendet sich alles Biographische immer wieder in ein Spiel.
Dass diese Mischung so gut funktioniert, liegt am Charme der Akteure und vor allem an einer Regie, die den Jugendlichen den perfekten Rollenzuschnitt liefert. Melanie Delvos besitzt einen guten Blick für das, was ihr Ensemble zu leisten vermag, deshalb kann es sich dann so lebendig aus einem Guss präsentieren. Die Kids erzählen in ihren eigenen Texten von zuhause, sie zeigen, wie das mit dem Mobbing abgeht. Aber all das braucht keine Story. Präsenz reicht im Theater manchmal weiter als eine konstruierte Geschichte. Man verlässt das Theater, hat einen Blick in die Welt der Teenager geworfen und vor allem etwas, von ihrem Lebensgefühl mitgenommen, und das hilft, sie in ihren Wünschen und Ängsten zu verstehen.
#Baklava | Regie: Melanie Delvos | Comedia Theater | Di 16.6. 19 Uhr & Mi 17.6. 11/19 Uhr | 0221 888 77 222
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