Es gibt wohl wenig, dass sich so entfernt anfühlt, wie die permanente und konstante Überwachung unseres alltäglichen Lebens. Und doch ist sie real. Ständig lesen die Datenkraken von NSA, Google, Facebook und Co. unsere digitalen Spuren auf und speichern sie. Und wer sagt eigentlich, dass sie nicht vielleicht unbemerkt auf die Kameras und Mikrofone in unseren Laptops, Tablets oder Smartphones zugreifen? Angenommen das ist so: Wie privat ist dann noch das Private? Wie intim unsere Intimität?
Die Schranke zwischen privat und öffentlich verwischt bereits zu Beginn der Aufführung im Freien Werkstatt Theater. Das Publikum wird gebeten, die Schuhe ausziehen. Gehört sich so bei Regisseurin Philine Velhagen daheim. Und dieses Daheim ist eine Art dreidimensionales Wohnungs-Dogville: Bett, Duschkabine, Esstisch, Sitzecke, Dunstabzugshaube (wohlgemerkt ohne Herd darunter) und am anderen Ende des Raums noch ein Einkaufswagen (möglicherweise gibt es den bei Velhagens ja auch zuhause?). „Kommt ruhig rein. Ich hör’ gerade nochmal kurz was“, sagt sie mit Kopfhörern auf den Ohren, während die Zuschauer auf Socken in die Theaterwohnung strömen, sich orientieren und sich dann auf dem Bett, Sitzkissen oder an einem Tisch breitmachen, wo auch sie Kopfhörer erwarten. „Ihr könnt aber auch ruhig mal reinhören.“ Gesagt getan, und schon ist man mir nichts dir nichts in den Abend geschlittert. Frei bewegen sich die Gäste durch die Bühne/Wohnung und hören was die Kopfhörer an den verschiedenen Stationen preisgeben.
Mit „I am your private dancer – Eine Datensicherung unter Zeugenschaft“ macht Regisseurin und Schauspielerin Philine Velhagen das Publikum zum Zeugen und Voyeur einer total-überwachten Woche im März 2017. Damals startete die Künstlerin ein Experiment und zeichnete 24/7 alles auf: Unterhaltungen am Telefon, Situationen am Esstisch mit ihrem Freund und den Kindern, Gespräche mit Freundinnen („Dann hat Christian gesagt, man kann dann keine mehr rauchen, wenn man keine mehr will“), Selbstgespräche bei der Autofahrt (da wird ordentlich geflucht), beim Plantschen in der Badewanne (wobei die Waschmaschine nebenher ihre Runden dreht) oder einfach des Nachts im Schlaf beim gemütlichen vor sich hin Schnarchen (kein Scherz, die Frau schnarcht wirklich!).
Dann geht’s plötzlich ans Eingemachte: „Das ist total illegal.“ Velhagen spielt ein Telefonat nach, dass sie mit einer Freundin geführt hat. Ihr beichtet sie, dass sie neulich ein Gespräch mit ihr und zwei weiteren Freundinnen mitgeschnitten hat, ohne deren Wissen, ohne deren Einwilligung. Und ja, es ist ein Straftatbestand, wenn der Gesprächspartner keine Kenntnis davon hat. Doch hier schwingt noch Moral mit. Es den Freundinnen erst hinterher zu sagen, ist auch nicht vergnügungssteuerpflichtig, wie die Performance zeigt. Zwar hört man den Ärger der Freundin am anderen Ende der Leitung nicht, aber an Velhagens Reaktionen und Antworten ist schnell zu merken, die Freundin ist stinksauer. Auch der Verweis auf die hehren Ziele der Kunst und den damit verbundenen politischen Zusammenhängen ziehen nicht, wenn man sich verraten fühlt.
Velhagen, die mit einem Teil des Materials bereits ein Hörspiel für den WDR produziert hat, kann im Theater wesentlich freier mit dem Spielmaterial umgehen. Und auch wenn sie bereits Geld mit ihrem Material verdient hat (einer Gemeinsamkeit mit der Datensammelwut der Tech-Konzerne), will sie noch mehr. Sie zieht es den Zuschauern mit dem Ton-Protokoll-Roulette aus der Tasche – wären wir nicht im Theater, mit dem illegalen Glückspiel wären wir beim nächsten Rechtsverstoß. Sentimental wird es, wenn Velhagen ein Telefonat mit der Mutter ihres Freundes vorspielt; die Dame ist Anfang 2018 verstorben. Zwischendrin sorgen Remixe aus verschnittenen Aufnahmen für einen verstörenden Soundtrack. „I am your private dancer“ ist ein Abend, der anders ist, als die meisten Theaterabende. Spontan, zufällig, intim und dennoch öffentlich und voyeuristisch zugleich. Dabei schlägt das thematische Pendel permanent von banal bis bedeutend aus.
„I am your private dancer“ | R: Philine Velhagen | 26.-28.5. 20 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
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