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„Wir sind Affen eines kalten Gottes“
Foto: Ana Lukenda

Marx begreifen

12. Mai 2018

„Wir sind Affen eines kalten Gottes“ am Schauspiel Köln – Theater 05/18

„Warum wir da hingekommen sind, wo wir sind, und ich möchte es auch gern begreifen“, sinniert Hannes im fiebrigen Eifer auf der Bühne der Außenspielstätte am Offenbachlatz. „Ich lese und lese, die ganze Zeit dieses Buch, diese hundertfünfzig Seiten über diese Ware“, führt er fort, stockend, fast verzweifelt, „das scheint für dich so eine unglaubliche Rolle gespielt zu haben.“ Im minutenlangen, konfusen Monolog nähert er sich den Theorien des Ökonomen und Philosophen Karl Marx, springt dabei immer wieder von Gedanke zu Gedanke. Das Publikum lauscht bei dieser Szene besonders gespannt, lacht immer wieder mitfühlend. Weil man sich so gut hineinversetzen kann in Hannes' Versuch, Marx' Gedanken wirklich zu begreifen? Weil einem irgendwie doch nie alle Teile von Marx umfassender Theorie klar vor Augen stehen, immer einzelne Aspekte nebulös zu bleiben scheinen? Die Zuschauer belohnen die eindrucksvolle schauspielerische Leistung von Johannes Benecke mit Szenenapplaus.

Nichts weniger als den ersten Band von Marx´ Mammutwerk „Das Kapital“ bringt die Theatergruppe subbotnik mit der Uraufführung des Stückes „Wir sind Affen eines kalten Gottes“ auf die Bühne – der Titel ist ein Zitat aus einem von Marx' sehr frühen Gedichten. Vorgeknöpft haben sie sich die Abschnitte „Die Ware“, „Das Geld“, und „Die Manufaktur“ und hangeln sich im ersten Teil des Stückes an zentralen Begrifflichkeiten entlang. Es ist das dritte Werk des deutsch-russisch-ukrainische Trios für das Schauspiel Köln. Auch diesmal arbeiten Musiker Kornelius Heidebrecht, Regisseur Martin Kloepfer und Schauspieler Oleg Zhukov genreübergreifend mit einem unkonventionellen Mix aus Performance, Instrumentalkomposition und Live-Hörspiel.


Oleg Zhukov und Ines Marie Westernstöer, Foto: Ana Lukenda

Overhead-Projektor und Zeigestock

Wie in einer Vorlesung wenden sich die sieben Schauspieler in der ersten Hälfte direkt an das Publikum. Mit Overhead-Projektor und Zeigestock rezitieren und erklären sie einzelne Ausschnitte des Werkes und arbeiten sich doch in den vielen Monologen und wenigen Dialogen vielmehr in amüsanter Weise an ihrer eigenen Unzulänglichkeit ab, das Werk umfassend zu verstehen. Im reduzierten Bühnenbild verbildlichen die Schauspieler zentrale Gedanken durch performative Elemente – das führt zu teils abstrusen Szenen, wenn beispielweise Unternehmer und Arbeiter nach hitziger Diskussion über Mehrwertschöpfung abwechselnd in der Badewanne untergehen. Musikalische Intermezzi ergänzen das Spiel, von meditativem Chorgesang bis zur eindringlichen Darstellung der Arbeitsteilung durch eine im stakkatohaften Sprechgesang vorgetragene Aufzählung aller Berufe, die zur Herstellung einer Uhr zusammenwirken.

In der zweiten Hälfte dann verändert sich die Dramaturgie deutlich: Vermeintlich zusammenhangslose Alltagsanekdoten und Gespräche, die jetzt weniger angestrengt wirken und sich vom Originaltext lösen, entpuppen sich als subtile und intelligente Metaphern und geben Antworten auf die viel rezitierte Frage: Was kann uns Marx über unser Leben heute sagen? So vergleicht etwa Oleg Zhukov das Nachleben der Teile eines Containerschiffes mit der zerstückelten Interpretationsgeschichte des „Kapitals“ und Johannes Benecke erzählt von natur- und erkenntnisphilosophischen Aha-Momenten beim Eifelspaziergang. Auch Marx selbst darf am Vorabend seines 200. Geburtstages nicht fehlen – schlecht verkleidet und trocken gespielt von Zhukov.

Mit Geburtstagstorte wirft er immer mal wieder einen Kommentar ein – trägt dabei jedoch wenig zum Verstehensprozess der Protagonisten bei.


Johannes Benecke mit Taktstock, Foto: Ana Lukenda

Philosophisch-poetische Spurensuche

Das Stück hat trotz des sperrigen Stoffes und einiger etwas langatmiger Passagen skurrilen Charme, ist amüsant und intellektuell herausfordernd zugleich – dabei manchmal an der Grenze zum Klamauk. Vorkenntnisse von Marx' Theorie sind von Vorteil, so entgehen weniger die subtilen, ironischen Zwischentöne und feinen Metaphern. Obwohl teils ganze Passagen aus dem Werk vorgetragen werden, taugt das Stück als Erklärwerk für Marx-Anfänger nur bedingt. So ist der Abend auch weniger eine Geschichtsstunde, als vielmehr eine teils philosophisch-poetische, teils ironisch-trockene, aber immer zeitgenössische theatrale Spurensuche und Auseinandersetzung mit einer 150 Jahre alten Analyse, die an Wichtigkeit eher zu gewinnen als zu verlieren scheint. Passend zum Thema bedeutet der aus Sowjetrussland stammende Begriff „Subbotnik“ übrigens „unbezahlter Arbeitseinsatz am Sonnabend“.

„Wir sind Affen eines kalten Gottes“ | R: subbotnik | 18., 29.5., 2., 7., 15., 26., 29.6. 20 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00

Mareike Thuilot

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