Was würde wohl Kim Jong-un dazu sagen: Ein Mann irrt durch eine postapokalyptische Welt. „… und jeden morgen beginnt man von neuem, geht in eine richtung, …. erwandert sich die stadt, durch die ziellose suche, das suchen nach den substanzen, die man halt suchen muss, um weiterzumachen …“ Von der Zivilisation sind allenfalls Spurenelemente übriggeblieben – und ein einzelner Mensch, dem sich die Frage nach Weitermachen oder Schluss machen stellt. Konstantin Küsperts Monolog kombiniert das Analogtheater mit einem assoziativen Bilderreigen, dessen Titel „Die Psychonauten: Krieg, Ekstase, Asche“ vermutlich keine Wünsche offenlässt. Wer Regisseur Daniel Schüßler kennt, darf erwarten, dass er sich den inszenierten Weltuntergang nicht entgehen lässt.
Am Schauspiel Köln sorgt dagegen der 30-jährige Krieg für ein apokalyptisches Panorama. Kriegszerstörung, Hungerepidemien, marodierende Legionäre, Seuchen und Fanatismus halten das Land fest im Griff. Wie überleben? Mit Humor, sagt sich Tyll Ulenspiegel und steigt bei seinen Streifzügen die gesamte gesellschaftliche Pyramide hinauf und wieder hinunter. Vom Bettler bis zum König ist alles dabei. Stefan Bachmann bringt in einer Uraufführung Daniel Kehlmanns Roman „Tylll“ auf die Bühne im Depot. Dass dem Intendanten des Schauspiels dieses barock schweifende Welttheater liegt, kann man getrost annehmen.
Auch Heiner Müllers „Quartett“ lässt sich in Sachen Endzeitanmutung nichts nachsagen. Die Begegnung der Marquise de Merteuil und des Viconte de Valmont verortet der Autor in einem „Salon vor der französischen Revolution / Bunker nach dem dritten Weltkrieg“. Ein letzter Kampf der Geschlechter, herausdekliniert aus dem Vokabular der Freidenker in der Nachfolge des Marquis de Sade. Endzeitmüdigkeit hat beide längst erfasst. Trotzdem können sie von ihrem verbalerotischen Schaukampf nicht lassen und zerfleischen sich in ständigem Rollentausch gegenseitig. Die französische Regisseurin Catherine Umbdenstock bittet im Freien Werkstatt Theater zum Untergang.
Nur am Theater Bonn ist man noch ein wenig hoffnungsfroh gestimmt. Aischylos‘ Trilogie „Die Orestie“ ist zwar ein Familiendrama der blutrünstigsten Sorte: Nachdem Agamemnon seinen Tochter Iphigenie für sein Kriegsglück geopfert hat, sinnt seine Frau Klytämnestra auf Rache. Mit ihrem Lover Ägisth erschlägt sie den Ehemann, wird dann allerdings von Sohn Orest und Tochter Elektra umgebracht. Den Verfolgungen durch die Erinnyen macht Göttin Athene dann ein Ende. Ein Gerichtsprozess setzt anstelle der Macht der Götter die Demokratie. Doch ist die Demokratie von heute überhaupt noch die, die den Menschen damals versprochen wurde? Marco Štorman befragt eines der wichtigsten antiken Dramen auf seine Gegenwartsdiagnose.
„Die Psychonauten“ | R: Daniel Schüßler | 5.9. (P) | Studiobühne Köln | 0221 470 4513
„Quartett“ | R: Catherine Umbdenstock | 5.9. (P) | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
„Tyll“ | R: Stefan Bachmann | 15.9. (P) | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
„Die Orestie“ | R: Marco Štorman | 29.9. (P) | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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