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Wilhelm Schürmann, Steinhammerstraße/Ecke Karolinenstraße 23.8.1979, Dortmund-Steinhammerstraße (Ausschnitt); Gelatinesilberabzug
© W. Schürmann, courtesy SK Stiftung Kultur

Bild einer Straße

26. April 2012

Fotografien von Wilhelm Schürmann in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur - Kunst in Köln 05/12

Es gibt mehrere Möglichkeiten, die fotografische Serie „Wegweiser zum Glück“ von Wilhelm Schürmann, die jetzt im Mediapark ausgestellt ist, zu lesen. Mit dem, was zu sehen ist und aus den Jahren um 1980 stammt, sind diese Fotografien heute Teil unserer Erinnerungskultur. Sie sind Dokumente ihrer Zeit und ihres Ortes: In vielen brillanten, sehr unterschiedlichen Einstellungen skizzieren sie das damalige Leben im Revier zwischen Aufschwung und aller Unsicherheit. Aber sie sind weder nostalgisch noch Ruhrgebiets-Folklore. Und mit der Kontinuität des fotografischen Vorgehens, in der Konzentration auf eine einzige Straße, der Beschränkung auf s/w und dem kleinformatigen Handabzug liegt ein konzeptueller Anspruch vor, bei dem jedes Bild für sich Gültigkeit besitzt. Die Photographische Sammlung der SK Kultur zeigt nun die gesamte Serie mit etwa 180 Bildern, die Wilhelm Schürmann zwischen 1979 und 1981 aufgenommen und ihr vor fünf Jahren geschenkt hat. Dazu erscheint auch ein Buch, wohl aber erst im Juli, zu Pressevorbesichtigung und Eröffnung lag es noch nicht vor.

Eigentlich, so berichtet Wilhelm Schürmann, der heute auch als Kunstsammler und Ausstellungskurator aktiv ist, stand hinter der fotografischen Erfassung ein persönlicher Anlass. Er hat die Fotografien in der Steinhammerstraße und deren Umgebung in Dortmund aufgenommen, wo er seine Kindheit verbracht und bis 1966 gelebt hat, ehe er die Stadt in Richtung Aachen verließ. Mit dem Abstand von dreizehn Jahren kehrte Schürmann ab 1979 viele Male mit der Fotokamera zurück und war überrascht, wie wenig sich verändert hatte. Er zeigt in seinen Aufnahmen unterschiedliche Ansichten des Straßenverlaufs. Er fotografiert die Fassaden und die Bewohner der Häuser und die Geschäftsleute ebenso wie zufällige Passanten und weiterhin einzelne Einrichtungsgegenstände in den Häusern, angrenzendes Brachland und das Bahnhofsgelände. Private Spurensuche und objektive Erfassung treffen aufeinander; Schürmann teilt eine subjektive Weltsicht mit, aber er führt kein Selbstgespräch. Und er setzt das Erinnerungsbild in eine konzentrierte, nie ausschweifende Form.

Wilhelm Schürmann, der 1946 geboren wurde, hatte sein Studium der Chemie mit der Erkenntnis abgeschlossen, in diesem Berufsfeld nicht tätig sein zu wollen, und bereits mit Rudolf Kicken eine Galerie für Fotografie geleitet, auch war er schon selbst als Fotograf tätig, als er sich diesem Projekt zuwandte. Der Impuls, ein derart komplexes, umfassendes Panorama der Straße anzufertigen, sei von Bernhard Johannes Blume gekommen, sagt Schürmann. Aber sei es nicht überhaupt bemerkenswert, dass mit Norbert Tadeusz, der als Kind im Nachbarhaus gelebt habe, Bernhard Johannes Blume und ihm gleich drei Anwohner bei der Kunst gelandet seien? Also, worin besteht das Eigene und Eigentümliche dieser Gegend und das Prägende? Wilhelm Schürmann ergänzt, dass sich seine Fotografien nicht als soziologische Studie verstehen, aber doch legen sie viele Fährten in verschiedene Richtungen. Und vielleicht ist sogar gut, dass die Straße mit ihrer Menge an Geschäften und Gaststätten gar nicht so typisch für das Ruhrgebiet ist. Die Aufnahmen in ihrer Gesamtheit wirken als Konzentrat nicht nur einer Straße sondern auch eines urbanen Kontextes.

Persönliche Vertrautheit
Dabei interessiert Schürmann primär das Besondere am einzelnen Vorkommnis. Mitunter beschränkt er sich auf eine Hausfassade oder sogar nur einen Schriftzug inmitten der Wandfläche. Und er wendet sich dem Innenleben zu. Zu sehen sind Verkaufsräume und Wohnungen; die Atmosphäre vermittelt sich anhand der Einrichtung. Manchmal sind auch die Bewohner zu sehen, bisweilen ergeben sich daraus ständische Portraits, welche vielleicht an die Berufsbildnisse von August Sander denken lassen. Aber bei Schürmann besitzen die Fotografien ihre kleinen Geschichten hinter den beruflichen Tätigkeiten, sie beruhen auf der persönlichen Vertrautheit mit den Portraitierten, die im Titel neben dem Aufnahmedatum genannt sind. Schürmann legt Typisches frei und kehrt allerhand nach außen, was auf lapidare Weise kurios wirkt und Tieferes mitteilt. Eine Fotografie zeigt lediglich einen zerbeulten Briefkasten. Der Schlüssel ist wohl verloren gegangen, so dass der Besitzer ihn an der Seite aufgebrochen hat. Der polnisch klingende Name auf dem Schild aber weist auf die große Bevölkerungsgruppe und deren Geschichte in dieser Gegend. Eine andere Fotografie fokussiert ein Haus, bei dem das Fenster deutlich schief in die Mauer gebaut ist. Für Schürmann, der früher oft hier „hängen“ blieb, stellt sich die Frage, wie der jahrzehntelange Blick durch ein solches Fenster die Wahrnehmung beeinflusst.

Und was hat es mit dem Titel auf sich? „Wegweiser zum Glück“ steht auf einer Broschüre der Toto-Lotto-Annahmestelle, die aus einer Hosentasche ragt – auch das ist eine Fotografie. Die Straße wird zum Ort des Aufbruchs in die Welt, zur Prophezeiung. Andererseits ist alles doch ganz einfach: „Ich treffe etwas an und mache ein Bild davon“, sagt Wilhelm Schürmann. Entstanden ist eine topographische Bestandsaufnahme mit hohem Erkenntniswert.


„Wilhelm Schürmann – Wegweiser zum Glück. Bilder einer Straße 1979-1981“ I bis 12. August I Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur I www.photographie-sk-kultur.de


THOMAS HIRSCH

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