Was ist das Alter? Tritt es schleichend ein oder ist es plötzlich da? Wie äußert es sich für einen selbst und wie nehmen es die anderen wahr: im Gesicht, an den Aktivitäten, dem Umfeld? Und, da das Leben immer länger wird: Ist ein Alter von 80 Jahren heute etwas anderes als vor einem halben Jahrhundert? Es ist die Fotografie, die mit ihrem dokumentarischen Charakter Auskunft auf derartige Fragen verspricht und in der Zukunft zur erneuten Überprüfung zur Verfügung steht. Die aktuelle Ausstellung in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung widmet sich, mit ihrer eigenen Sammlung und Leihgaben, dem hohen Lebensalter in unserer Gesellschaft. Sie umfasst ebenso berührende und intime Aufnahmen wie ein demonstratives In-Szene-Setzen und ein objektives Dokumentieren. Sie beginnt mit August Sander im frühen 20. Jahrhundert.
Ein vergleichendes Sehen setzt bei den Porträts von Menschen ein, die er wiederholt in verschiedenen Lebensaltern fotografiert hat. Konzeptueller hat sich das Projekt von Christian Borchert entwickelt, der in der DDR 1983/84 Familien zuhause porträtiert hat. Etwa ein Jahrzehnt später – nach der Maueröffnung – hat er die Familien an den gleichen Orten erneut fotografiert: Alle sind älter, mitunter haben sich die Konstellationen gewandelt. Hin und wieder lassen die Bildpaare auch zeitbezogene Änderungen der Einrichtung erkennen.
Brachial hingegen – in Farbe, großformatig, mit wenig Abstand zu den porträtierten Personen – dringt Larry Sultan in die Privatsphäre eines älteren Paares ein. Es handelt sich um seine Eltern. Sultan hat sie von 1982 bis 1991 daheim fotografiert, kurz nachdem sein Vater in Pension gegangen war und nun im Haushalt mithalf, während seine Mutter sich als Immobilienmaklerin verwirklichte – mit all dem fand eine Neuorientierung statt, auch für Larry Sultan selbst. Eine weitere – themenbedingt – plakative Farb-Serie stammt von Natalya Reznik: „The Old World“, die sie 2017 begonnen hat. Sie zeigt ältere Frauen, die sich würdevoll, wie Models, vor einer urbanen Kulisse in Szene setzen, und befasst sich mit der Frage, wie sich die Gesellschaft durch den höheren Anteil älterer Menschen in einigen Jahrzehnten verändern wird. Spannend ist, diese inszenierten Porträts mit den sachlichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen sehr alter Menschen zu vergleichen, die Imogen Cunningham in den frühen 1970er Jahren im Projekt „After Ninety“ zusammengefasst hat, als sie selbst auf die Neunzig zuging.
In den Gesichtern zeichnen sich erfahrenes Leben und Erinnerungen ab, die zu erzählen wären, ein In-sich-Ruhen. Das ist überhaupt der Tenor dieser positiv stimmenden Schau mit achtzehn Positionen: Sie legt die Aktivität im Alter frei, zeigt Zusammengehörigkeit, Optimismus und die Bedeutung von Erinnerung und Erfahrung. Dazu sind auch Außenseiter und radikale Beiträge berücksichtigt. Die Fotografin Jess T. Dugan und die Sozialwissenschaftlerin Vanessa Fabbre würdigen ältere Personen mit transsexueller oder nicht-konformer geschlechtlicher Identität, und John Coplans hat in vielen Schwarz-Weiß-Aufnahmen den eigenen nackten Körper in Ausschnitten fokussiert: keine Angst vor dem Alter, das schließlich uns alle betrifft.
Blick in die Zeit – Alter und Altern | bis 7.7. | Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur | 0221 88 89 53 00
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