Es liegt schon zwei, drei Jahrzehnte zurück, aber vor allem mit einer fotografischen Serie ist Lucinda Devlin bekannt geworden: mit den „Omega Suites“, ihren Aufnahmen von Hinrichtungszellen in Justizvollzugsanstalten der USA. Sie wurden 2001 auf der Biennale in Venedig ausgestellt und trugen zur Diskussion über die Todesstrafe bei. Die Aufnahmen selbst enthalten sich einer Wertung, aber sie konstatieren Kälte, das Trostlose, die routinierte Handhabung maschineller Abläufe. Erfasst ist die Anonymität von Raumkonstrukten, die, pragmatisch ausgestattet, zweckgerichtet von Individuen genutzt werden. Abwesend sind sie doch anwesend.
Dass Devlin derartigen Beobachtungen in ihrem gesamten, fünf Jahrzehnte umfassenden Schaffen nachgeht, wird jetzt in der Photographischen Sammlung deutlich. Hier macht die Ausstellung zusätzlich Sinn, weil sie die dortigen Beständen von August Sander und von Bernd und Hilla Becher ergänzt: im dokumentarisch Sachlichen, der Distanziertheit der Aufnahmen und in der Erarbeitung in topologischen Serien, die Aufschluss über den Gebrauch der Sujets, ihre Struktur und ihre Beziehungen zur Zivilisation und überhaupt ihre Zeit liefern. Die neun ausgestellten Werkgruppen zeigen, wie sehr Devlin mit der Gliederung des Bildes und der Zentrierung und Ausgewogenheit und einer wahren Flut an farbigem Licht arbeitet. Von Schwarz-Weiß in die Farbe sei sie 1977 gewechselt, berichtet Devlin, animiert von einem roten Sofa in einem ihrer Bilder. Seit dieser Zeit verwendet sie das quadratische Format, vergrößert auf 70 x 70 und 100 x 100 cm: Formate, bei denen das Publikum wie durch ein Schlüsselloch schaut, regelrecht in den Innenraum gesogen wird und dann plötzlich in ihm steht, sodass er sich nach allen Seiten gleichmäßig ausdehnt.
Die Serien, für die Devlin durch die USA, aber auch Deutschland gereist ist, zeigen Orte, an denen für die Dauer der Aufnahme die Zeit stillzustehen scheint. Das beginnt mit den Bildern von „Pleasure Ground“ mit lustvoll-kitschigen Suiten in Hotels. Darauf folgen die Operationssäle der „Corporal Arenas“. Fand vorher ein Eintauchen in Hitze, Volumen und sinnliche Dichte statt, so dominiert nun eine aseptische Kühle aus weißen Flächen und axialen Linien. Hiervon unterscheiden sich die Badeanstalten und die Einrichtungen in Höhlen, in denen das Kunstlicht umso präsenter ist. Die Serie der Gewächshäuser zeichnet eine artifizielle Farbigkeit im Dunkel aus und weckt paradiesische Vorstellungenàla Las Vegas. Das Üppige der Vegetation wird diktiert von Gentechnik und der Erzeugung von Energie – dabei ist all das so notwendig für unsere Existenz. Und dann gibt es zum Ende der Ausstellung, vorbereitet durch lichterfüllte Horizonte über dem Lake Huron, eine Überraschung: Devlin hat in jüngster Zeit mit dem iPhone Videos auf dem See aufgenommen. Begleitet von Geräuschen, sind das bewegte Wasser mit seinen Wellen, das reflektierende Sonnenlicht und Felsen zu sehen. Einmal mehr wird deutlich, wie winzig, eingebunden in die Geschehnisse, der einzelne Mensch ist, auch wenn er sie selbst gestaltet hat, und wie mächtig und ohnmächtig er doch ist.
Lucinda Devlin: Frames of Reference | bis 16.7. | Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur Köln | 0221 88 89 53 00
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