Fernab von den Maximen der Regenbogenpresse bemüht sich die Redaktion des Blaubach Kurier um die Schilderung authentischer Geschichten. Dass es bei der Findung dieser Storys schillernd zugeht, belegen die „Alltagsberichte nicht alltäglicher Menschen“ im Lokalblatt. Alleinstehende Damen, die mit unsichtbaren Hunden an der Leine Gassi gehen, Waffenfreaks, die auf Wasserpistolen und Gummimesser spezialisiert sind, äußerst uneinige eineiige Zwillingsschwestern oder Blumenflüsterer, die den gestressten Reportern nach Rücksprache mit der Pflanze eine Fotoaudienz um sechs Uhr in der Frühe gewähren, stoßen zwar auf interessierte Leserschaft, vermögen es aber nicht, langfristig die benötigten Anzeigenkunden für das Medium zu gewinnen.
Der mittlerweile 14. Inszenierung des inklusiven Ensembles die Attitüde der Komödie anzuheften, wird dem Werk aus der Feder von Ulrich Marx jedoch nicht gerecht. Vielmehr offenbaren sich hinter jedem Lacher tragische Züge, die das Kollektiv bestehend aus Menschen mit und ohne Behinderungen mitunter kurz anleuchtet, dann mit verdunkelten Scheinwerfern in ein dämmriges Seelenlicht taucht. Einsamkeit, Isolation oder Befremden schleppen sowohl die vermeintlich sonderbaren Interviewpartner als auch die Journalisten wie Blei-Schatten durch ihr Dasein. Deren Arbeit ist im Angesicht der prekären wirtschaftlichen Verlags-Situation und ihrer eigenen Stellung im Betrieb von Zweifeln gekennzeichnet.
Unter der Regie von Sabine Hahn demonstriert das 15-köpfige Kollektiv im 80-minütigen Stück eine Lehrstunde an intelligenter Unterhaltung inklusive komplexer Persönlichkeitsstudien. Das Aufeinandertreffen der Charaktere gleicht in seinem vermeintlichen Chaos einem Fellini-Szenario, das die überbordende Groteske herausfordert (und durch Menschlichkeit besiegt). Das tägliche Auflehnen gegen die in rechte Winkel gefassten Normen der Gesellschaft übertragen die Akteure in einen Langstreckenlauf konkurrierender Emotionen. Runde um Runde ziehen sie Gräben entlang der Bühne, die mit Traurigkeit, Frohsinn, Unverständnis, Wut und Leidenschaft empathisch gefüllt werden. Hier bleibt lediglich Raum für das pure Leben, das nichts anderes als ein Drama mit gewissem Ausgang ist. Mit „Blaubach Kurier“ krönen sich die Theaterkönige. Sehr sehens- und fühlenswert.
Blaubach Kurier | weitere Termine in Planung | Comedia Köln | www.comedia-koeln.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Humor als universelle Sprache
Okan Seese am Comedia Theater
Die Stimme aus dem Radio
„Jugend ohne Gott“ am Comedia Theater
„Andere Realitäten schaffen“
Dramaturg Tim Mrosek über „Kaputt“ am Comedia Theater – Premiere 12/24
Der Zahn der Zeit
„Tippo & Fleck“ am Comedia Theater
Zeit des Werdens
„Mädchenschrift“ am Comedia – Theater am Rhein 05/24
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23
Missstände offenlegen
„Stigma1“ im Comedia Theater – Prolog 11/22
Jung, wild, queer
Bohei- und Bonanza-Festival am Comedia Theater – Bühne 06/22
Geometrie der Liebe
„Eltern outta space“ am Comedia Theater – Theater am Rhein 04/22
„Ein Riesenprogramm“
Westwind Festival für junges Publikum am Comedia Theater – Interview 08/21
„So kann es nicht weitergehen“
Fem-Fame-Night „33 Frauen“ an der Comedia – Prolog 08/21
Schussbereite Romantik
„Der Reichsbürger“ in der Kölner Innenstadt – Auftritt 01/25
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Freude und Bedrückung
35. Vergabe der Kölner Tanz- und Theaterpreise in der SK Stiftung Kultur – Bühne 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Lang lebe das Nichts
„Der König stirbt“ am Schauspiel Köln – Auftritt 12/24
Vererbte Traumata
Stück über das Thiaroye-Massaker am Schauspiel Köln – Prolog 12/24
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Tanzen gegen Rassentrennung
„Hairspray“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 11/24