„Das deutsche Theater ist weiß, männlich und heterosexuell“
25. August 2016
Regisseurin Pinar Karabulut eröffnet die neue Außenspielstätte am Offenbachplatz – Premiere 09/16
Ein Samtvorhang sagt mehr als tausend Worte: Als in der vergangenen Spielzeit im Depot 1 die Stoffmassen rauschten, war klar: Das Schauspiel Köln beginnt sich einzurichten in Mülheim und das Stammhaus am Offenbachplatz ist allenfalls Dependance. Jetzt wird Regisseurin Pinar Karabulut die „Außenspielstätte Offenbachplatz“ mit einer Uraufführung von Dirk Lauckes „Karnickel“ einweihen. Die 29-Jährige hat zuvor als Assistentin unter Stefan Bachmann gearbeitet und macht jetzt die ersten Schritte als freie Regisseurin. Ein Gespräch über Abnabelungsprozesse, weiße Männer mittleren Alters und Politik im Theater.
choices: Frau Karabulut, nach drei Jahren Assistenz am Schauspiel Köln arbeiten sie jetzt als freie Regisseurin. Haben sie sich schon abgenabelt? Pinar Karabulut: Noch nicht ganz, ich kann mich einfach von meinem Mutterschiff noch nicht trennen (lacht). Ich arbeite an der neuen Außenspielstätte des Schauspiel Köln am Offenbachplatz bis zum Ende dieser Spielzeit als Regisseurin und Kuratorin. Darüber hinaus inszeniere ich Stücke von Janne Teller und Maya Arad am Dresdener Staatschauspiel. Für mich ist das ein Superstart ins erste Jahr.
Sie eröffnen mit einer Inszenierung von Dirk Lauckes „Karnickel“ die Außenspielstätte am Offenbachplatz. Stefan Bachmann hat gesagt, dass Mülheim keine Interimsspielstätte des Schauspiel Köln mehr ist, sondern das Stammhaus in Mülheim. Am Offenbachplatz wird jetzt in dem früheren Pavillon an der Nord-Süd-Fahrt eine Außenspielstätte eingerichtet. Das ist ein wunderschöner Raum, rundum verglast wie ein Aquarium, fast magisch. Der Raum beherbergt eine Studiobühne mit rund 150 Plätzen. Es ist surreal an diesem Ort zu sein. Man ist angekommen und doch nur zu Gast. Man probt und spielt mitten in der Baustelle, ein wenig wie bei einem Site-specific-Projekt.
Wie sieht das Programm aus?
Pinar Karabulut
Foto: Thomas Morsch
Pinar
Karabulut (*1987)
studierte Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Literatur in
München. Nach Assistenzen in Münchner und Zürich, war sie 2013-16
Regieassistentin am Schauspiel Köln und inszenierte „Invasion!“
von Jonas Hassen Khemiri. Sie inszenierte dann u.a. am Schauspiel Köln, Theater Bremen, Münchner
Kammerspiele, Volkstheater Wien und am Theater Neumarkt in Zürich. Seit 2020 gehört Karabulut zum künstlerischen Leitungsteam der Münchner Kammerspiele.
Die vier ehemaligen Regieassistenten des Schauspiel Köln Charlotte Sprenger, Andrea Imler, Matthias Köhler und ich kuratieren das Programm. Jeder bringt eine Inszenierung heraus, Rafael Sanchez inszeniert einen eigenen Monolog und Melanie Kretschmann macht ein Stück von Julian Pörksen. Es wird Lesungen und Konzerte geben, wir wollen Performer einladen und natürlich Partys machen. Die Bar trägt übrigens den Namen Britney. Eingeweiht wird die Außenspielstätte mit der Premiere von „Karnickel“ und am Tag danach stellen wir unter dem Titel „Inside Britney“ das Haus mit Performances und Touren vor. So wie das Baustellen-Flair während der Bespielung bleiben soll, so wollen wir auch kein perfektes Theater machen. Es gibt einen Konsens, wie Theater zu sein hat, und das ist eigentlich langweilig. Wir versuchen, die neue Spielstätte als Labor zu sehen.
Sie inszenieren mit „Karnickel“ bereits das zweite Stück von Dirk Laucke. Was fasziniert Sie so? Für mich ist Dirk Laucke ein Autor, der es schafft, politisch-aktuelle Konflikte in einer alltäglichen Sprache auf den Punkt zu bringen, ohne die Vorgänge zu banalisieren oder zu dramatisieren. Gleichzeitig schafft er es, die Zuschauer mit ihrer eigenen Welt zu konfrontieren. Ich mag, wie er mit der Sprache spielt und sich auch nicht scheut, eine Figur mal vor sich hinbrabbeln zu lassen. Das ist die Realität. Natürlich bewundere ich auch andere Autoren oder Klassiker, aber Dirk Laucke ist näher an mir dran.
Das Stück trägt als Genrebezeichnung Komödie. Worin liegt für Sie die Komik? Als ich „Karnickel“ gelesen habe, fand ich es wahnsinnig komisch. Aber mich hat die Trägheit der Figuren, die ihre eigenen Träume nicht umsetzen, nicht einmal für sich selber kämpfen, auch sehr traurig gemacht. Opa Hermann ist der einzige, der es geschafft hat, sich politisch zu engagieren und eine Erfüllung in der Liebe zu finden. Sein Sohn Robert, der Filmwissenschaft an der Uni unterrichtet, hat jedes politische Interesse und jede Kampfeslust verloren und streitet nicht mal für seine Ehe. Die Tragik entsteht dadurch, dass bei allen Figuren eine Form von Lächerlichkeit mitschwingt. Dirk Laucke schafft es dadurch, die Komödie mit einem politischen Statement zu verbinden. Andererseits sind die Szenen im Kulturzentrum mit dem Sozialarbeiter Matschke, Robert und seiner Frau Ina fast schon Slapstick.
Das Theater gehört ja auch zum linksliberalen Mainstream wie die Akademikerfamilie in „Karnickel“. Erkennen Sie Ihr Milieu darin wieder? Auf jeden Fall. Das deutsche Theatersystem ist weiß, männlich, heterosexuell. Das ist schon ziemlich langweilig. Vor allem in der Leitungsetage sitzen linksliberale, weiße Männern mittleren Alters. Genauso wie Robert Brendel im Stück, der sich schließlich darüber aufregt, dass eine jüngere, besser qualifizierte Professorin den Leitungsposten am Institut übernimmt.
Sie arbeiten in diesem System. Ich muss darin arbeiten, um es zu ändern (lacht). Sonst wären vermutlich gar keine Frauen da.
Ist dieser Schwund des politischen Engagements von Hermann als 68er über Roberts Universitäts-Pseudokarriere bis zu dessen Sohn Juri eine Art Verfall? Ein Kampf entsteht aus einer Not. Hermann hat als 68er diese Not empfunden, auch wenn er „immer nur mitgefahren“ ist, wie er sagt. Im fortgeschrittenen Alter hat er sich dann für das Haus im Speckgürtel entschieden, wo das Stück angesiedelt ist. Robert ist in diesem behüteten Zuhause groß geworden, kann aber weder mit seinem Vater, noch mit seinem Sohn etwas anfangen. Juri wiederum ist mit dem Gedankengut des Großvaters aufgewachsen, soll als Kind militant gewesen sein und sucht nach einem politischen Forum für sich. Es ist eine Form des Verfalls, der auch mit Bequemlichkeit zu tun hat. Keiner muss mehr für seine Rechte einstehen und man weiß auch nicht, wie man überhaupt intervenieren soll. Die Aktionslust von Hermann gibt es 2016 nicht mehr.
Gibt es überhaupt eine positive Figur im Stück? Ich mag alle Figuren, sie sind mir ans Herz gewachsen. Die skurrilste Figur ist sicherlich Nadja, die sich wie eine Zecke in die Familie reingesetzt hat. Sie will zwar etwas ändern, vermasselt es aber, weil sie unachtsam und tollpatschig ist. Sie bekommt eine Sonderrolle bei mir, die ich aber noch nicht verraten will.
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Das deutsche Theater ist zu einem großen beachtlichen Teil homosexuell, es ist forciert migrantös und immer stärker weiblich (personell und inhaltllich!). Die Dame weiß ganz offensichtlich nicht, wovon sie redet. Bzw.: Es ist zurzeit so wunderbar opportun in gewissen Gesinnungskreisen, immer wieder die gleichen Textstanzen (weiß, hetero, männlich etc.) zu kolportieren, obwohl das Theater, so, wie es momentan personell und inhaltlich aufgestellt ist, die gesellschaftlichen Verhältnisse gut repräsentiet. Wenn Frau Karabulut damit nicht einverstanden ist, kann sie gerne freies Minderheitentheater machen. In Deutschland herrscht die Freiheit der Berufswahl, Frau Karabulut! Genau solch ein realitätsfernes Gelaber macht keinerlei Lust mehr auf das per Steuergeld zwangsgeförderte Staats- und Stadttheater. Thema verfehlt, Frau Karabulut.
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