Luis, 10, wird von Mitschüler:innen wegen seines ponybedruckten Rucksacks gemobbt und sieht sich jeden Tag neuen Erniedrigungen ausgesetzt. Anstatt Unterstützung erfährt er von den Pädagog:innen an der Bildungseinrichtung Ignoranz. Schlimmer noch, die Schuld wird dem Jungen selbst aufgrund dessen Lieblingsmotivs zugeschoben. Die Mutter sieht als einzige Problemlösung die Entsorgung des geliebten Objekts vor. Luis steht lediglich sein Vater bei, der jedoch mit brachialem Wutauftritt in der Schule für eine Steigerung des Konflikts sorgt. Die aktuelle Adaption des Bühnenwerks von Paco Bezerra galoppiert im BOX-Theater unter der Regie von Nikos Konstantakis keinem romantischen Sonnenaufgang entgegen. Mit jeder Nutzung des Gebrauchsgegenstands entfacht der Junge die hündischen Niederträchtigkeiten der anderen Kinder und Jugendlichen, in deren getrimmten Bewusstseinseinheiten kleine, niedlich dreinblickende Pferde – womöglich mit Horn auf der Stirn und buntem Schweif – seit Anbeginn der Zeit ausschließlich Mädchen zustehen.
Bezerras Story beruht auf wahren Begebenheiten, die sich im Zuge der TV-Ausstrahlung von „My little Pony – Friendship is Magic“ ereigneten. Das BOX-Ensemble setzt den beschränkten Status quo einer pseudotoleranten Gesellschaft als berührendes Kammerspiel mit Live-Musikperformance um. Ines Langel als realistisch denkende Mutter kollidiert dabei im Zehnsekundentakt mit ihrem Gegenpol, dem Ehemann und Gatten, gespielt von Leo Kamphausen. Der junge Protagonist ist physisch abwesend, aber in Form eines umgekehrten Dorian Gray-Effekts auf einem Portrait zu sehen – die Gesichtszüge des Schülers verändern sich dabei im Laufe der Darbietung während einer bemerkenswerten Metamorphose. Die Dialoge und das Gebaren der Figuren offenbaren sich über die gesamte Länge von rund 80 Minuten in ihrer Hilflosigkeit sowie ihrem Zorn angesichts der Entwicklung des Geschehens als glaubhaft und nachvollziehbar. In die anfänglichen Momente schmetterlingshafter Leichtigkeit mischen sich mit dem stetig steigenden Spannungsbogen Bleikugeln, bis der Horizont der kleinen Familie einzustürzen droht. Einen gleichberechtigten Anteil an der Atmosphäre hat Musikerin Kitz alias Anna Illenberger, die das Stück mit ihrem Soundtrack in träumerische bis dramatische Dimensionen führt.
Das kleine Pony | Box-Theater | 21., 22., 24.4. 20 Uhr, 23.4. 18 Uhr | www.box-koeln.de
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