Es war Virginia Woolf, die einmal darüber nachdachte, was gewesen wäre, wenn William Shakespeare eine schreibende Schwester namens Judith gehabt hätte. Die junge Autorin Paula Thielecke macht mit der Idee Ernst und schickt diese junge Autorin durch die Niederungen des deutschen Theaterbetriebs – mit allen komischen und ernsten Folgen. Ein Gespräch mit dem jungen Regisseur Dennis Nolden, der das Stück gerade am Schauspiel Köln inszeniert.
choices: Herr Nolden, Tom Hanks hat gerade bei der Oscarverleihung gesagt, er würde heute die Rolle des schwulen aidskranken Anwalts in „Philadelphia“ im Sinne der Authentizität nicht mehr spielen. Sie Inszenieren mit Paula Thieleckes „Judith Shakespeare – Rape & Revenge“ ein Stück über Sexismus gegenüber Frauen im Theaterbetrieb. Hatten Sie Bedenken?
Dennis Nolden: Tatsächlich nur ganz kurz. Ich habe drüber nachgedacht, ob ich das tun kann. Ich wurde dann aber bestärkt in meiner Absicht, das Stück von Paula Thielecke zu inszenieren und sehe da jetzt nicht so ein Problem. Solange man natürlich vorsichtig mit den Themen umgeht. Das Regieteam ist auch, abgesehen von mir, komplett weiblich. Dementsprechend haben wir auf jeden Fall einen genauen Blick und achten darauf, dass wir da keine Grenzen überschreiten.
Es ist Ihre erste größere Inszenierung am Schauspiel Köln. Wie nervös ist man da?
Ich merke schon deutlich den Wechsel von Assistieren zum Regieführen. Aber ich kenne die Leute, mit denen ich arbeite, teilweise seit fünf Jahren. Da ist ein großes Vertrauen da. Die haben mich als Assistenten kennengelernt, haben jetzt aber auch große Lust, diesen Abend mit mir als Regisseur zu gestalten.
Was hat Sie gerade an Paula Thieleckes „Judith Shakespeare – Rape & Revenge“ gereizt?
Mir gefällt vor allem die Sprache von Paula Thielecke. Gerade die Dialoge haben eine Schnelligkeit, eine Patzig- und Rotzigkeit, die ich gerne auf der Bühne sehe. Und ich habe große Lust, damit zu arbeiten, weil diese Sprache zwar schnell und leicht klingt, aber sehr viel mittransportiert. Und das Spiel mit den Theaterformen, aber auch mit Whats-App-Chats, eröffnet uns viele Möglichkeiten. Dann finden sich im Stück zahlreiche Bezüge zu Shakespeare wieder, zum Beispiel zu Hamlet. Und eben Paula Thieleckes Hauptthema: Dass Frauen im Theater sich hochkämpfen müssen, der Mangel an Frauenrollen, an Autor:innen generell.
Paula Thielecke schickt Judith, die Schwester des großen William Shakespeare, als junge Autorin in den Theaterbetrieb und damit in die Konkurrenz zu ihrem Bruder.
William erscheint als der Glücksjunge, der vielfach gefördert wurde, während sie sich hochkämpfen muss. Im Stück wird auch erwähnt, dass viele Ideen seiner Werke letztlich von ihr kommen. Das spielt auf den Mythos an, ob Shakespeare wirklich seine Stücke allein geschrieben oder nicht doch eher im Kollektiv, also sich, wie bei Paula angelegt, an den Ideen seiner Schwester bedient hat. Und wenn Judith später mit dem Intendanten spricht, geht es viel darum, dass ihr eigenes Stück nach Shakespeare, also dem berühmten Bruder, klingen soll.
Judith meldet sich an der Pforte des Theaters und bekommt schon da ein Problem.
Die Pforte ist natürlich nicht nur die Pforte, sondern steht für viel mehr. Es geht um das Problem,nicht gesehen zu werden, dass neben den vielen großen Namen kein Platz ist für diese junge Frau. Und dann bleibt – anders als bei dem geförderten William – nur die Methode Ellenbogen ausfahren und sich hochkämpfen. Oder man gibt doch die Telefonnummer vom Bruder weiter, weil die Frau an der Pforte auf William Shakespeare steht. Das ist der Vitamin B-Weg, der auch im Theater oft und viel genutzt wird. Obwohl Judith es eigentlich alleine schaffen möchte, muss sie die „Ich bin die Schwester vom großen Bruder“- Karte spielen, um einen Termin beim Intendanten zu bekommen.
Nachdem sie ein minotaurisches Labyrinth absolviert hat, kommt Judith endlich zum Intendanten Juri Stein. Ist diese Begegnung dann nicht reines Klischee?
Natürlich ist er ein wandelndes Klischee, aber gleichzeitig geht es um viele Dinge, die man im Theaterbetrieb immer noch antrifft. Der Intendant Juri Stein hat nicht nur das Geld und sorgt für die Bezahlung. Er gibt auch das Thema des Stückauftrags vor. Eigentlich möchte Judith über Urwälder schreiben, aber er sagt „Nein“: Frauen müssten über Gewalt schreiben. Judith sucht sich dann berühmte Frauen aus Mythos und Literatur wie Lucretia, Kallisto, Leda, Lavinia zusammen, die alle vergewaltigt wurden. Gleichzeitig arbeitet sie sich an der Machtstruktur des Theaters ab. Und das steigert sich dann immer weiter, bis der Intendant beschließt, auch noch selbst alle vergewaltigten Frauen zu spielen. Es gipfelt darin, dass die Autorin alle diese Frauen in einem Chor auftreten lässt. Der Chor ist quasi ein Stück im Stück.
Wie balancieren Sie diese Spannung zwischen dem ironisch-satirischen Aspekt der schnellen Dialoge und den sehr ernsten Chorstellen aus?
Es funktioniert nur mit einer klaren Haltung. Und dass man als Publikum nicht mehr das Gefühl hat, dass da die Stück-Figuren Röschen, Shakespeare und Juri Stein stehen, sondern die Schauspieler Benjamin Höppner, Justus Maier und Jörg Ratjen. Man muss einen klaren Bruch spielen, eine klare Form finden, wie man den Chor durch den Abend führt, und dann muss man es durchziehen. Wir experimentieren im Moment gerade mit einem Kleidungsstück, einem Kostümteil, das den Chor symbolisiert und dass alle dann immer tragen.
Besteht nicht schon in Ihrer Besetzung mit drei Männern und einer Frau ein Problem: Dass also ein Männerchor die Texte der vergewaltigten Frauen in der Literatur spricht?
Da haben wir sehr viel drüber nachgedacht. Wir wissen alle, wie heikel das ist, wenn männliche „Täter“ die Texte weiblicher Opfer sprechen. Da muss man sehr aufpassen, um nicht abzurutschen. Wir haben viel ausprobiert, auch mit einem aufgenommenen Frauenchor oder als live von Judith gesprochenen Text, sind dann aber doch zur Grundidee dieses Männerchors zurückgekommen, dessen Tradition bis in die Antike zurückreicht. Aber noch sind wir in den Proben und es kann noch viel passieren.
Judith Shakespeare – Rape & Revenge | R: Dennis Nolden | 13. (P), 19.4. | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
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