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Szenenbild „Agrippina“
Foto: Presse

Der Giftmord als Karrieresprung

20. Dezember 2010

„Agrippina – Die Kaiserin aus Köln“ - Theater am Rhein 01/11

Und es begab sich zu der Zeit, da neugotisch noch nicht in war: Da traf Elvis auf seine Mutter, die einst ihren Onkel heiratete. Da waren die Wände noch golden und Totenköpfe eine Zier. Und um das Jahr 50 herum kannte die Rhein-Metropole noch kein Hinterteil. Beim „Römischen Hysterienspiel mit Puppen und Sandalen“ wird in der Schlosserei des Kölner Theaters die eigentliche Stadtgeschichte deshalb neu aufgerollt. Und die Geschichte ist nix für Schafe, eins kann gerade noch aufkauen, dann wird es auch schon ein Bettvorleger für den greisenhaften Romulus, der nach der Philosophie der Unendlichkeit erst mal ein paar allbekannte Kölner Stadtinterna zitiert und als Beweis für die Löcher, in die auch schon mal Archive versinken, diese alte Hure anführt: Agrippina, die Stadtgründerin, die Mörderin, die Machtfrau. Ihr folgen die „übelsten Frauen des Altertums“ auf die Bühne: Cleopatra, Salome, Poppea, alles Giftmischerinnen allererster Güte.

Suse Wächter, eine der besten Puppenbauer- und -spielerinnen, die es in dieser Konstellation momentan gibt, hat sich mit Agrippina, der Stadtgründerin, eingelassen und steht mit dreiköpfiger Band und zwei Mitspielerinnen auf dem goldenen Podest, das Herrschaftshaus und Colonia, Colosseum und Rom gleichzeitig ist. Das herrlich franselige Stück ist eher Hommage an mächtige Frauen insgesamt denn Biografie der Mutter Neros. Dessen Lehrer Seneca trifft dann auch historiensicher auf Elfriede Jelinek, die gleich nach den „übelsten Frauen des Altertums“ erscheint, den kreischenden Applaus des Publikums (ich hasse Applaus) unterbricht und über den Markt der Körper reflektiert. Mit Seneca (wehendes weißes Haar) versteht sie sich ausgezeichnet, selbst als der ihre schicken orangefarbenen Sandalen (köstlich um 50 n.Chr.: „die nennt man Sneakers“) lobt, lässt sie ihre Zöpfe fliegen und sich im Wortschwall über Penetration und Macht auf dem Sofa nicht bremsen. Das ist ganz großes Kino, wie das aus fünf weiblichen Leibern gebildete Sibyllinische Orakel, das per Video eingespielt wird und für Verwirrung bei Agrippina stiftet.

Die Grenze zwischen den grandios lebensecht wirkenden Puppen und den drei Frauen, die ihnen die Seele einhauchen, verschwimmt immer weiter. Sohn Nero soll auch endlich an die Spitze des Staates gemordet werden. Also wird Miraculix kontaktiert, der über dem Zaubertopf über Giftmischerei sinniert und hilfreiche Tipps gibt. König Claudius stirbt daraufhin langanhaltend lamentierend. Agrippina ist am Ziel. Nero ist Kaiser und liebt seine Mama. Oder doch mehr Poppea? Der Zickenkrieg ist unvermeidlich, schnell wird noch über das Theater und seine Funktion debattiert, wird Nero als „echt toller“ Schauspieler in allen Rollen geoutet, einen Frosch kostet das jedes Mal das Leben, dann soll es auch Mama an den Kragen gehen. Doch Nero ist schlau, heute geht nix ohne Versicherung. Per Video wird sein Verhandlungsgeschick bei der Agrippina-Versicherung eingespielt. Für ganz Rom, das ja ihm gehört, will er eine Gebäudeversicherung, für Mama eine Lebensversicherung, köstlich-gruselig mitanzusehen, wenn ausgerechnet wird, wie hoch die Police wohl wird. Dann brennt endlich der Dom.

„Agrippina – Die Kaiserin aus Köln“ I 11.1., 20 Uhr
Schauspiel Köln I 0221 22 12 84 00

PETER ORTMANN

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