Es helfen keine Götter mehr, selbst wenn die Mahlzeit heilbringend als Fisch vom Himmel fällt. Gabriel York steht 2039 im Sauren Regen vor seiner Wohnung und hält genau diesen Fisch in den Händen. Im Meer gibt es sie kaum noch. Die paar, die noch illegal gefischt werden, sind für ihn unerschwinglich geworden. Gabriel wartet auf seinen Sohn, den er vor 28 Jahren verließ, weil er nicht wusste, wie er mit den vielen unheimlichen Gefühlen umgehen sollte. Weil er nicht wusste, dass genau das in seiner Familie eine böse Tradition hat. Von seinem Stiefvater hatte er einst einen Koffer mit merkwürdigen Gegenständen bekommen, deren Sinn er nie verstanden hat. Ein Kinderschuh war darunter und eine kleine hölzerne Astgabel.
Über ihm öffnen sich fünf identische Wohnkabinen, die Bewohner beginnen mit alltäglichen Verrichtungen, essen alle dieselbe Suppe, selbst die Gespräche scheinen sich zu wiederholen, obwohl alle zu unterschiedlichen Zeiten und an weit entfernten Orten leben. Bühnenbildnerin Dorothea Wimmer hat jede Einheit mit einer Jalousie versehen, die im geschlossenen Zustand als Videoleinwand dient, auf die Landschaften, Menschen und Wetter projiziert werden können. So beginnt eine verzwickte Familiensaga, die Klaus Weise in die Bonner Halle Beuel inszeniert hat. Die Geschichte „Das Ende des Regens“ vom Australier Andrew Bovell umfasst ganze 80 Jahre, hat komplizierte Rückblenden, schwierige Personenkonstellationen und unterschiedliche zeitgenössische Themenblöcke. Im Mittelpunkt steht die Liebe von Gabriel und Gabrielle, die durch einen Autounfall endet. Der Engländer Gabriel war nach Australien gekommen, um nach seinem verschollenen Vater zu suchen, von dem ihm seine alkoholkranke Mutter nie etwas Brauchbares erzählt hat. Hier trifft er Gabrielle, deren Eltern Selbstmord begangen haben, weil ihr Bruder Glen mit acht Jahren am Strand missbraucht und getötet worden war. Dass der Täter wohl sein Vater war, erraten beide erst Millisekunden vor dem Unfall, bei dem Gabriel getötet wird, die schwangere Gabrielle überlebt. Ursache und Wirkung heben sich auf, in Rückblenden und mit Verweisen strukturiert Weise geschickt und hochartifiziell mit seinem hervorragenden Ensemble das schier Unmögliche, während unten vor dem Haus die ganze Zeit ein junger Mann im Autowrack sitzt und ab und an seine Stratocaster singen lässt. Das ist Gabriel Yorks Sohn Andrew, unschuldiges Endprodukt einer langen Kette aus menschlichen Katastrophen und zerstörten Liebesgeschichten, die in Alkohol oder Demenz enden. Hier liegen nicht mehr nachvollziehbare Ursachen, die letzten Endes wirkungslos bleiben.
Das ungewöhnliche australische Stück ist auch eine Metapher für den gleichförmigen Strom des Lebens, der ungerührt weiterfließt, egal was an seinen Ufern passiert oder in seinen Fluten endet. Am Schluss erhält Andrew einen Koffer mit Dingen, die mit ungeheurer Bedeutung aufgeladen sind, deren Sinn aber niemand mehr erklären kann. Der Strom wird weiterfließen, die Strudel der Vergangenheit sind da längst vergessen. Ein großes Stück Hoffnungslosigkeit schwimmt bei Andrew Bovell immer mit. Auch wenn der Regen für diese Kausalitäten aufgehört hat.
„Das Ende des Regens“ I Di 8.2., 19.30 Uhr I Halle Beuel Bonn I 0228 77 80 08
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