Während Kulturfeste wie Birlikte und Gezi Soul die verstärkten Bemühungen widerspiegeln, Köln und Istanbul fruchtbar zusammenzubringen, gibt es in der Comedia schon seit einem Jahr Gelegenheit, an einer „kleinen Einführung in deutsch-türkische Problemzonen“ teilzunehmen. Der Comedy-Abend „Zuckerfest für Diabetiker“ von und mit Markus Barth („Der Genitiv ist dem Streber sein Sex“) und Moritz Netenjakob („Macho Man“, „Stromberg“, „Pastewka“) will vorgeblich Chancen und Möglichkeiten der Integration einem lernwilligen Publikum vermitteln. Mit auf der Bühne sind Netenjakobs langjährige türkische Frau, die Schauspielerin Hülya Doğan-Netenjakob, und deren Bruder Serhat Doğan – also Netenjakobs Schwager. Im Zentrum stehen die zwei Mentalitäten, wie sie im Alltag und besonders beim Aufeinanderprallen der Kulturen zum Vorschein kommen. Mit Hilfe falscher Bärte, Perücken und rudimentärer Kostüme werden überspitzt solche Situationen nachgestellt, die mit den „Problemzonen“ zu tun haben. Dabei geht es natürlich thematisch geordnet zu, wie es sich zumindest in Deutschland für Einführungen gehört: Was haben Deutsche und Türken für Beziehungen zu Geld, Musik, Fußball, Sexualität, Speisen und so weiter.
Das wohl normalerweise vorwiegend deutsche Publikum hat die Probleme und Unterschiede sicher in Alltag und Beruf schon beobachten können, allerdings selten mit der hier gebotenen komisch-wahren Stellungnahme und Kommentierung. Der Abend liefert Widererkennbares und versöhnt damit, wie die Deutschen (speziell die Kölner) und die Türken (keine ganz untypischen Südländer) nun mal sind. Mancher könnte nun einwenden, in der Einführung nichts grundlegend Neues zu lernen, doch es geht um den Umgang mit dem, was wir wissen oder ahnen – und da ist das Stück Kölnisch. Etwas zahm und rheinisch-gemütlich, mit der einen oder anderen Spitze gegen fremdenfeindliche Autoren oder diktatorische Politiker, bringen die vier Komödianten lieber echte Erfahrungen, familiäre Plauderatmosphäre und augenzwinkernde Rollenspiele zusammen, als mit Klamauk und Frechheit jeden letzten Lacher aus deutschen und türkischen Eigenheiten herauszupressen. Reine Klischee-Bearbeitungen des Themas gab es wohl schon genug.
Zu den Highlights gehören die Verkleidungen und Imitationen von Netenjakob, darunter ein toller Auftritt als ein körpereng bekleideter Schwuler, der die türkischen Eltern seines künftigen Gatten kennenlernt, und eine Live-Kommentierung der Zusammenstöße im Gezi-Park als von Franz Beckenbauer und Reiner Calmund gesehenes Fußballspiel. Barth wird unter anderem zum Polizisten, der inkompetent einen fremdenfeindlichen Akt untersucht, und steuert Einzeiler bei (über Islamisten: „Männer unter sich, da kommt nur Scheiße raus“). Hülya Doğan-Netenjakob weiß in Form unterschiedlicher türkischer Frauengestalten zu überzeugen, die offenbar mehr oder weniger verbürgt sind. Ein Abschnitt, in dem Netenjakob und Serhat Doğan sich gegenseitig Internetvideos vorspielen, mit denen es ihnen misslingt, die Überlegenheit ihrer Kultur zu beweisen, bringt die Show ebenso in Multimediabereiche wie Musikeinspielungen und Netenjakobs lebhaftes Verlesen einer köstlichen Szene aus seinem letzten Roman „Der Boss“, der die Thematik des Stücks bereits vorwegnahm. Dem Publikum wird an so einem Abend einiges etwas klarer, vielleicht unvermuteterweise auch über den deutschen Charakter, denn wo kommt dieser besser zum Vorschein als in der Gegenüberstellung? Wahrscheinlich sollten alle Völker voneinander lernen und sich irgendwo in der Mitte treffen.
„Zuckerfest für Diabetiker“ | Do 9.10., Do 13.11., Do 18.12. 20.30 Uhr | Comedia | 0221 888 77 222
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Nummer 4 im Klima-Quartett
Maja Lunde liest in Köln – Lesung 04/23
Reißen am Korsett
„Bye, Bye Hochkultur“ von Familie Rangarang – Bühne 11/20
Es ist egal, wo die Nudel hängt
Amüsante Sonderlinge: Kindertheaterstück „Die Prinzessin kommt um vier“ in der Comedia – Bühne 01/19
„Wir kämpfen weiter“
Kölner fordern Freiheit für Hozan Cane und Adil Demirci – Spezial 11/18
Am linken Flügel
Lockenkopf Martin Zingsheim ist in guter Gesellschaft – Komikzentrum 09/18
Ausgrenzung der Kurden
„Anziehungskräfte“ im Theater im Ballsaal – Theater am Rhein 07/18
Sieben Jahre Stigmatisierung
Mahnmal-Diskussion in der Keupstraße – Spezial 06/18
Lachmuskeltraining à la carte
Starbugs zeigen in der Comedia, wie es geht – Komikzentrum 05/18
Spitze Entzückungsschreie
Das „Zuckerfest für Diabetiker“ feiert bald Fünfjähriges – Komikzentrum 04/18
Das Gut Freiheit
Doğan Akhanlı schreibt über seine „Verhaftung in Granada“ – Literatur 03/18
Alte Autokraten und junge Jünger
Hülya Özkan und Astrid Wirtz über Erdoğans deutsche Anhängerschaft – Spezial 01/18
Tanzen gegen Rassentrennung
„Hairspray“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 11/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24
„Die Hoffnung muss hart erkämpft werden“
Regisseur Sefa Küskü über „In Liebe“ am Orangerie Theater – Premiere 11/24
Kampf gegen Windmühlen
„Don Quijote“ am Theater Bonn – Prolog 11/24
Die ultimative Freiheit: Tod
„Save the Planet – Kill Yourself“ in der Außenspielstätte der TanzFaktur – Theater am Rhein 10/24
Die Maximen der Angst
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei – Theater am Rhein 10/24
Keine Macht den Drogen
„35 Tonnen“ am Orangerie Theater – Prolog 10/24
Wenn das Leben zur Ware wird
„Hysterikon“ an der Arturo Schauspielschule – Prolog 10/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Spam, Bots und KI
„Are you human?“ am Theater im Bauturm – Prolog 10/24
Die KI spricht mit
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei in Köln – Prolog 10/24
„Das Ganze ist ein großes Experiment“
Regisseurin Friederike Blum über „24 Hebel für die Welt“ in Bonn und Köln – Premiere 10/24