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„Der entfesselte Fidelio“,
Foto: Thilo Beu

Die Freiheit zu gehen

29. September 2011

Beethoven-Fidelio-Performance in Bonn - Theater am Rhein 10/11

Zwei Schimmel stehen im Innenhof des ehemaligen Bonner Behördenhauses und knabbern Grünzeug. Ein Stromzaun beschneidet ihre Freiheit. Ein ebenso weißer Gattungskollege aus Pappmaché hat dafür weiter hinten einen Lampenschirm auf dem Kopf, dazu wandert der Polizeichor in Uniform und baumelnder Knarre im Viereck und singt wie Beethovens Gefangenenchor. Oh welche Lust? Noch hat „Der entfesselte Fidelio“ in 105 Minuten gar nicht angefangen. Da eilt die staatliche Gewalt ins ehemalige Polizeipräsidium, die Zuschauer strömen hinterher und sammeln sich in der nachtschwarzen Tiefgarage bei den immer noch singenden Beamten, die Akustik ist hier allerdings besser. Hinter jedem Pfeiler wird rezitiert, vom Vaterunser über die Offenbarung bis zur Nationalhymne. Dann fahren Autos durch die Reihen, beamen vom Beifahrersitz Kriegsbilder auf vorhergetragene Bettlaken. Die Videos huschen vorbei, da heißt es auch schon wieder Sammeln im Innenhof, in dem eine Herde Schafe panisch im Kreise hetzt. Oh welche Freiheit? „Wo Schafe friedlich weiden“ soll der Tatort eigentlich heißen. Klaus Weises Theaterparcours zwischen Installation und Performance will sich mit dem Thema Freiheit, unter besonderer Berücksichtigung von Menschenwanderungen in den Zeiten von Krieg, Hunger und Terror auseinandersetzen. Die Wirkung der Bonner Völkerwanderung durch ein verdrecktes Gebäude lässt sich dabei leider auf die Audioendlosschleife „Europa, wir kommen“ reduzieren – und FM Einheit malträtiert dazu schön die Gitterstäbe im Zellentrakt.

Die eigentliche Entscheidungs-Freiheit ist die zu gehen, nach Hause oder wenigstens mal in die Hausmeisterwohnung. Chabrol soll hier Fidelio treffen, ein Tatort zwischen Spießbürger-Hölle und mit der Axt geöffneten Wohnzellentrakten, in der Karnickel friedlich grasen, der Waschraum noch blutig ist. Es kommt der Tag, da will die Säge sägen, wenn auch schon irgendwer im Sarg aufgebahrt ist und die Landserheftchen wohlgeordnet sind. Das Labyrinth aus Ahnung und Analyse ist schnell überfüllt, der Tatort verunreinigt, next stop is Vietnam, die Turnhalle, in der Martial Arts-Recken mal zeigen, was so ein richtiger Schlagstock ist. Und das, bevor die Treppen ins vierte Obergeschoss zwingen. Immer noch nicht hat die Reise ins Reiseland Deutschland richtig Hand und Fuß, sucht sich der Zuschauer seinen Weg und irgendwie auch seine Bestimmung. Ist das nun Gewalt-Voyeurismus oder Kunstgenuss-Wanderung ohne Rucksack? Keine Ahnung. Wenn es tatsächlich auch darum geht, dass Kunst keine Antworten auf die Krisen der Welt bietet, dann bräuchte niemand mehr die Treppen steigen. Aber zum Schluss locken noch der Herrensalon und eben die Kantine. Nach dem Treppenhaus leuchtet der Hai mit Meervideo, sechs schöne blonde Frauen erinnern an Vanessa Beecroft. Vor ihnen philosophiert ein Mann mit Waffe in der Hand über seine Freiheit, im Kühlraum lernt der Besucher etwas über die fachgerechte Zerteilung von Tierkadavern. Das nennt sich Symbolik. Nicht Fisch nicht Fleisch, nicht mehr Theater, noch keine Darstellende Kunst. Jetzt schmeckt wenigstens das Pils.

„Der entfesselte Fidelio“ I 1.-16.10., 19.30 Uhr I Eh. Behördenhaus Bonn I 0228 77 80 08

PETER ORTMANN

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