Wer gibt schon was auf die Ansichten eines Clowns? Dieser Kulturberuf hat zu unterhalten, amüsieren, jonglieren, Trompete spielen. Als dummer August oder schicker Weißclown. Alle verbergen sich gerne unter viel Schminke, aber Ansichten erwartet keiner. Nobelpreisträger Heinrich Böll löste mit der Veröffentlichung seines Romans 1963 eine heftige Debatte aus, 50 Jahre später sind die Ursachen dafür zerstoben, die Kritik längst überholt. Für seinen Clown hat nur noch die Liebe zu seiner Marie Bestand – dafür aber bis heute. Regisseurin Alice Buddeberg hat ihn wohl deshalb in Bad Godesberg auf die Bühne und mit dem Recken Bernd Braun vor den Eisernen gestellt. Blöd nur das der Satz: „Ich glaube, es gibt niemanden auf der Welt, der einen Clown versteht, nicht einmal ein Clown versteht den anderen" vom Publikum erst einmal für bare Münze genommen wird. Während Braun die ersten Minuten mit ernster Mine still verstreichen lässt, kommen zwangsläufig die ersten bissigen Kommentare aus den hinteren Reihen, dabei weiß doch noch niemand, was ihn erwartet. Viel Schauspiel, wenig Böll, viel Leid und vielleicht eine Menge Alkohol, nicht einmal rauchen durfte die Figur Hans Schnier auf seinem schmalen Laufband. Streichhölzer wurden ihm versagt und so nestelt er fahrig immer wieder eine Zigarette aus der Packung, zerbröselt sie in Ermangelung einer Zündvorrichtung.
Braun zelebriert eine Biografie des Mittelmaßes, die gescheiterte Existenz schlechthin, der Angst vor dem gerissenen Faden hat und doch insgeheim nach Applaus giert. Ein bisschen austeilen darf er auch, gegen Bonn, gegen Bochum, gegen Gott und die Welt und die ist geteilt zwischen CDU und SPD und seiner Flasche. Die Geschichte seiner Marie hält ihn aufrecht, ihr Weggang drückt ihn wieder zu Boden. Nachkriegstrauma, Streichholzsuche, und immer den Eisernen im Rücken, der kaum Halt bietet und ihm irgendwie auch den Weg in die Welt da draußen versperrt. Der Abend in Bonn zeigt den Monolog eines großartig aufgelegten Schauspielers, der sich ständig von der Clownsmaske zu befreien sucht, der Kunst entfliehen will und am Ende den Weg verloren hat, den er nie suchte. Dieser Rest-Böllsche-Kulturschaffende ist am eigenen Anspruch der Anspruchslosigkeit gescheitert und muss nun mit den Resten des ehemaligen Publikums interagieren, obwohl er der Kunst misstraut, seinem Können misstraut und lieber seiner verlorenen Liebe nachweinen will. Bernd Braun ist ein kahlköpfiger Misanthrop, der den Alkohol als letzten Verbündeten kultiviert hat, der die Gosse fürchtet, aber auch ignoriert, pleite, hungrig und gedemütigt. Und dennoch doch nur gekonnt das heilige Mittelmaß darstellen muss, während er auf und ab und hin und her wandelt, immer nur auf 40 cm. Er hört Stimmen – es ist seine eigene – hinter dem Vorhang tut sich was, während die Beleuchtung unmerklich weg dimmt. Dann schiebt sich die graue Masse hinter ihm nach oben, ein Flakscheinwerfer blendet das Publikum. Doch noch Erlösung? Der Clown geht wortlos ins Licht, die Zuschauer in die Nacht. Vielleicht gibt es doch niemanden auf der Welt, der einen Clown versteht.
„Ansichten eines Clowns“ | R: Alice Buddeberg | Sa 8.3. 19.30 Uhr | Kammerspiele, Bad Godesberg | 0228 77 80 22
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